Wir queren den Atlantik                                          / Teil 1

Das Setting

Skipper und Eigner auf der Segelyacht "Narwal" ist Arnd. Ich fahre als Co-Skipper.

Arnd hat seinen Schlafplatz im Salon, gleich beim Navigationstisch und in Mastnähe. Da schaukelt es nicht so stark auf und nieder. Aber auch in der Nähe von Küche und Toilette – in dieser Hinsicht wieder doch nicht der ruhigste Platz.

Ich habe die Heckkabine und wähle die Backbordseite zum Schlafen, in der Annahme, dass es mich bei den zu erwartenden Ostwinden mit nördlicher Komponente mehr an die Schiffs-Außenwand drückt und ich nicht auf der anderen Seite herausfalle. Das trifft anfangs voll zu. Später kommen Wind und Welle mehr achterlich. Da rollt die Narwal extrem nach beiden Seiten. Zum quer Liegen ist die Koje zu schmal. Arnd verrät mir den Trick: Das zusammengerollte Schlauchboot zum Beischläfer machen. Dann ist es so eng, es gibt kein Hin und Herrollen mehr. Im Übrigen teile ich die Heckkoje mit dem Außenbordmotor, dem Spinaker, Unmengen von Leinen, der Badeleiter.

 

Und Pipi Langstrumpf ist auch da, samt einem Lied, das ihre Unverfrorenheit ausdrückt, ihren eigenen Weg zu gehen und den ganz fröhlich und locker.

Dass ich als Co-Skipper willkommen bin an Bord der Narwal, verdanke ich der Familie Dagmar, Gerald und deren drei Kindern. Sie hatten das Schiff in Las Palmas übernommen, um es in Martinique wieder abzugeben. Auf der Fahrt bis zu den Kap Verden ist allen so elend gewesen, dass sie sich außerstande sahen, noch weiter zu segeln. Also muss Arnd sein Boot selber über den Atlantik fahren.

        

Danke Gerald und Dagmar!

Gerald dazu: „Ich wollte nach Nigeria gehen (seine Firma hat dort eine Außenstelle), um viel Geld zu machen, damit ich mir ein Boot kaufen kann, mit dem ich um die Welt segle. Jetzt weiß ich, dass ich das alles nicht zu tun brauche. Eine gute Erfahrung.“

 

Das Schiff, die Ausstattung

Es ist ein Stahlschiff vom Typ Van der Stadt, 11,7 m lang, im Jahr 1976 der Landy-Werft in Frankreich gebaut. Arnd ist der Drittbesitzer. Er hat es 2005 von einem Schweizer in gutem Zustand erworben, es in Tunesien selbst generalüberholt und mit Technik ausgestattet, die seinen Vorstellungen entspricht. Das Rigg hat außer Mast mit Großbaum und Vorstag noch ein zweites Stag, das Kutterstag. Das Großsegel ist ein Lattengroß. An Vorsegel gibt es eine Genua, eine Fock und ein Kuttersegel, sowie einen Spinacker. Eine zweite Genua gibt es zur Reserve. Man könnte die zweite Genua grundsätzlich auch als (Passat-)Segel zugleich an das Vorstag anschlagen – eine Genua links, die andere rechts. Da gibt es bloß ein kleines technisches Hindernis, sodass wir anstelle der zweiten Genua immer das Kuttersegel nehmen. Ich hoffe, ich habe kein Segel vergessen, sonst krieg ich Schelte von Arnd.

Die Narwal hat einen elektro-hydraulischen Autopiloten. Auf ihn hält Arnd sehr viel. Gegen Ende der Überquerung ist er dann auch mal zum Einsatz gekommen – ich fand Arnds Stolz auf ihn für sehr berechtigt. Und dann noch die Windsteueranlage. Sie hat uns die längste Zeit gelenkt, nicht immer zur vollen Zufriedenheit.

Der Strom, wenn der Dieselmotor nicht läuft, wird hauptsächlich von einem Windgenerator erzeugt und ein wenig vom Solarpaneel. Es reicht für einen sehr sparsamen Kühlschrank (!), für Elektronik, Beleuchtung unter Deck und alle navigatorischen Lichter. Beleuchtung und Lichter sind alle auf stromsparende LEDs umgestellt, können also großzügig eingeschaltet bleiben. Für meinen PC reicht es nur, wenn der Wind, wie gegen Ende der Fahrt, recht stark ist.

An elektronischen Navigations- und Nachrichtenhilfen hat die Narwal Iridium-Satelliten-Telefon, was es dem Arnd und mir ermöglicht, vom Schiff auf hoher See Nachrichten als E-Mail oder SMS zu versenden. Auch telefonieren wäre möglich, kostet aber viel Geld. Über dieses Satellitentelefon schickt Arnd fast täglich die Position an seine Homepage www.bluewatersailors.com . Hier kann sie von jedermann und –frau abgelesen werden. Wenn Arnd es mal einen Tag nicht tut, gerät Bente, seine Frau in Sorge und fragt mit SMS nach, was denn los sei. Die Positionsangabe kommt direkt aus dem GPS, das ja ständig mitläuft. UKW-Funk und Kurzwellenempfänger sind selbstverständlich da.

Über Kurzwelle kann die Narwal AIS-Signale empfangen. Seit einiger Zeit ist es Vorschrift, dass Großschiffe auf einer bestimmten Frequenz pausenlos Informationen über sich abgeben: Position, Geschwindigkeit und Kurs. Eigene Daten über Position, Geschwindigkeit und Kurs einbeziehend, rechnet Arnds Bordrechner aus, ob es zu einer Kollision kommt bzw. wann und wo die Distanz zueinander am geringsten sein wird. Das AIS Signal schickt auch Name und Nationalität des Schiffes, sowie Angaben über die Größe, manchmal auch über die Ladung, Ausgangs- und Zielhafen. Der AIS-Empfänger auf der Narwal gibt in jedem Fall ein akustisches Signal, sodass der schlafende Wachhabende erwacht und nachsehen kann, was zu tun ist. Das AIS-Signal reicht sehr weit. Es wird empfangen, ehe das Schiff mit seinen Lichtern über der Kimm gesehen werden kann, und ehe es vom allfälligen Radar erfasst werden kann. Arnd aktiviert den AIS-Empfänger erst während der Fahrt, nachdem er anfängliche Probleme mit der Antenne gelöst hatte.

Wenn man sich auf AIS verlässt, braucht man nur alle drei Stunden auszuschauen, ob nicht etwa ein Segler daher kommt. Weil aus der Gegenseite keiner zu erwarten ist, ist die Annäherung durch Überholer, oder als Überholer so langsam, dass es reicht, alle drei Stunden mal zu schauen.

Die Narwal hat auch Radar dabei. Für das Blauwasser aber nicht wichtig, zumal wir AIS haben.

Per GPS werden auch die Geschwindigkeit des Schiffes und der Kurs, beides über Grund, berechnet und digital angezeigt. Fahrt und Kurs durchs Wasser interessieren den Arnd genau so wenig, wie das den Skipper Heinz (der von Mallorca nach Gran Canaria) auch schon nicht interessiert hat. Auch bei Arnd läuft der Loggegeber gar nicht mit, weil der wohl längst verkalkt und veralgt ist.

Mich befremdet das, weil man den Strom nicht feststellen kann, der sich ja aus der (geometrischen) Differenz aus Fahrt über Grund und Fahrt durchs Wasser errechnet. Auf das bei Segelschulen und Prüforganen so beliebte Stromdreieck pfeift der Fahrtensegler offenbar.

Ich hätte freilich gerne gewusst, was „schenkt“ uns denn der Strom an Fahrt und was kann das Schiff, dank unserer Segelkunst. Auf dieses Feedback muss ich leider verzichten – das ist des Mitseglers schwere Schicksal. :‑I)

Die „Barfußroute“ – sie führt von den Kanarischen Inseln, wenn man will über Kap Verde, zu den Kleinen Antillen – ist bei Seglern seit Christoph Columbus auch deshalb so beliebt, weil nicht nur der Passatwind fast pausenlos von Ost nach West weht. Auch die Meeresströmung hat diese Richtung. In den Seekarten wird sie mit 0,5 bis 2 kn (Knoten) beziffert. (1 kn = 1 Seemeile/Stunde = 1,852 km/h).

 

Für und wider die Technik an Bord und anderswo

Dank der vielen Technik erscheint es mir glaubhaft und beruhigend, was es die Annemarie aus Niederösterreich (ich habe sie erstmals in Las Palmas am Steg getroffen, dann wieder in Palmeira/Sal auf den Kap Verden) zu berichten weiß: 99,99 % kommen drüben an.

Da hätte ich doch auch mit dem Hagen fahren können! Er hatte keine Kurzwelle, nur 2 GPS, kein Satellitentelefon, eine brüchige Genua, einen stotternden Motor, kein AIS, Radar sowieso nicht, keinen Wassermacher. Seine fröhliche und leichte Natur hatte es mir sehr angetan. Er war sicher keiner von den Eignern, die erst in den Keller gehen müssen, damit sie lachen können. Auch er wird inzwischen angekommen sein, wenn auch, ausrüstungsbedingt, nur mit 99,85prozentiger Sicherheit.

Und nun fällt mir mein Freund Willi aus Maspalomas ein: „Dieser scheiß Funk macht bloß das Segeln so teuer!“ Und er schimpft mich, dass ich deshalb nicht mit dem Hagen fahre. Er kenne einige, die sind minimalst ausgestattet gewesen und trotzdem drüben angekommen. Ich höre das „Trotzdem“, aber kein „Deshalb“. Columbus wäre froh gewesen, wenn er solche Geräte an Bord gehabt hätte, hat mal einer gemeint. Und dass der Willi von denen nichts weiß, die drüben „Deshalb“ nicht angekommen sind, liegt an der Unsichtbarkeit der Untergegangenen und nicht am „Trotzdem“.

Durch die Technik an Bord ist das Abenteuer nicht größer geworden, es sei denn, dass das alles in sehr seltenen Fällen – Blitzschlag oder die Amerikaner schalten GPS-Satelliten ab - ausfallen kann. Da steht man noch dümmer da, als jemand, der die ganze Technik nie gekannt hat. Wer kann noch mit dem Sextanten, so einer an Bord sein sollte, navigieren? Es ist wie beim Extrem-Bergsteigen auch: Nach jedem Unglück erfindet wer was Neues, das das künftig verhüten hilft. Das Abenteuer und die Erfahrung verlagern sich stets in Richtung Technik. Du segelst besser, wenn du Informatiker bist. Sonst stehst du bald mal da mit dem elektronischen Krimskrams und es hilft dir nichts.

Kein Mensch mehr fährt heute richtig weg. Die Abschiede am Bahnhof haben ihre Dramatik verloren. Kaum ist der Bahnsteig davon geglitten, holt er sich den elektronischen Kuschellappen ans Ohr: „Liebling, ich liebe dich!“ wird hin und her versichert.

Das Abenteuer steigt dann, wenn was von der Technik kaputt geht, wenn du was verlierst oder wenn du sie dir klauen lässt. Wie ich mir meinen Laptop damals in Barcelona. So richtig glücklich bin ich damals nicht gewesen. Es war abenteuerlich.

Da lob ich mir den Gregor Sieböck aus Bad Ischl. Er wandert um die Welt ohne Handy, ohne Laptop. Bloß eine Homepage, die hat er schon:  http://www.globalchange.at

Arnd ist von Beruf Informatiker gewesen. Daher hat die Elektronik geklappt auf der Narwal. Und auf so manchem anderen Schiff ist sein Fachwissen gefragt gewesen.

 

Wir fangen an, loszufahren

Die Narwal liegt in der Bucht von Palmeira auf der Kap Verdischen Insel Sal vor Anker. In der Bucht ankern ist immer billig und ich bevorzuge das auch immer, wenn ich selber der Skipper bin. Für das Klarmachen eines Schiffes, das Bunkern von Wasser und Nahrungsmittel bedeutet das ein oftmaliges Hin und Her mit dem Schlauchboot.

 

   Arnd kommt aus dem „Supermarkt "

Eine Woche nimmt sich Arnd Zeit, um sein Schiff klar für die Überquerung zu machen. Mir gefällt das, denn so können wir uns noch an Land gegenseitig abklopfen und einspielen.

Arnd ist Informatiker. Er schätzt Struktur auch in allen anderen Dingen. Er rechnet genau, auch was das Geld betrifft. Bei ihm kann man wahrlich das Sparen lernen! Zu jedem Ding und jeder Aktion hat er die Preise zugeordnet, als wichtige Grundlage aller Entscheidungen.

Ein erstes Abklopfen und Einspielen gibt es beim Wassereinkauf. Ich halte mich nicht für so arm, dass ich Wasser aus der Entsalzungsanlage trinken muss, daraus bereitete Getränke oder Nahrungsmittel zu mir nehmen möchte. Mir ist naturbelassenes Quellwasser zum Trinken und zum Kochen sehr wichtig – aus Liebe zu mir und meiner Unversehrtheit. Ich habe sehr feste Vorstellungen darüber, wie ich die Vitalität auf meiner mehrjährigen Reise pflege. Mit Arnd verständige ich mich auf einen lebbaren Kompromiss.

Ich freue mich schon auf den Moment des Auslaufens, auf den Moment des Ankommens und auf die Zeit dazwischen. Weil ich aber versuche, vorwiegend im Augenblick zu leben, freue ich mich jetzt am Anblick der sinkenden Sonne, der schmalen Mondsichel, knapp darunter die Venus, am Schnurren des Windgenerators, am Genuss des Nachmittags-Kaffees, eines neuerlichen Abendessens vor Anker und eines neuerlichen Frühstückens, immer noch vor Anker, am Schaukeln des vor Anker liegenden Segelbootes, am stetig mit Windstärke 5 - 6 wehenden NO-Passat und dass ich soeben Mails vorbereite an Freunde daheim.

Morgen werde ich mit meinem Laptop dann wieder kurz im Internet-Cafe sein und alles wegschicken, schauen was gekommen ist, nach dem Wetter schauen und auf das Bankkonto, ob die Rente für den Februar schon da ist. Es ist wirklich ein Privileg, Rentner zu sein. Und dass ich in eine Gesellschaft hineingeboren worden bin, die diesen Generationenvertrag kennt, dieses Kulturgut  hat und praktiziert. Das finde ich echt gut. In jungen Jahren hatte ich wenig Freude mit dem Geldfluss zwischen mir und der Sozialversicherung. Ich hatte tatsächlich nicht geglaubt, dass dieses System noch funktioniert, wenn für mich die Zeit zum Vorzeichenwechsel beim Geldfluss gekommen ist.

 

       

                 Fontenario (öffentliche Wasser-Zapfstelle) von außen und von innen

Das Füllen der Tanks mit dem Wasser aus dem öffentlichen Wassernetz der Insel lässt uns einen ganzen Tag fest arbeiten. Nach und nach wissen wir auch, was wir essen wollen und haben das allmählich alles an Bord. Arnd inspiziert den Mast.

Ich habe die Aufgabe, ihn zu sichern, Geübt aus meiner Bergsteigerzeit, dürfte ich Vertrauen bei Arnd gepunktet haben. Er habe sich sehr sicher gefühlt, sagt er, sanft an Deck zurückgekehrt.

Schließlich ist es soweit, fast. Wir holen jenen Anker auf, an den wir mit einer langen Leinen verbunden sind. Ich putze drei Stunden an der veralgten Leine. Dann trinken wir noch einen Tee.

„Freust du dich denn auf die Fahrt?“, fragt Arnd mich freundlich. Auch für ihn ist es das erste Mal. Was soll ich da sagen? No na net! Wie fühle ich mich wirklich? Super. Keine Angst. Ich habe sehr großes Vertrauen in Arnd, in das Schiff, in Annemaries 99,99 % und daran, dass noch niemand aus dem Universum hinausgefallen ist. Manche meinen, das habe was mit dem Urvertrauen zu tun.

Jetzt, wo ich das niederschreibe, fällt mir mein erster Schultag ein. „Hast du Angst gehabt?“ wurde ich gefragt. „G’fürcht håb i min net, aber zittert håb i schau,“ soll meine Antwort gewesen sein.

 

Jetzt fahren wir wirklich los

Das hat am Mittwoch, dem 04. Februar 2009 in der Früh begonnen und gegen Mittag ist es wirklich passiert.

Arnd stellt den Motor an. Ich winde den zweiten Anker herauf. Arnd findet einen Weg durch die anderen hier ankernden Boote. Wir winken dem Franzosen zu, samt den beiden Frauen an Bord. Auf den anderen Schiffen zeigt sich niemand. Ich sehe erstmals, wie Sal vom Wasser aus aussieht: Eine ziemlich flache, unbewachsene Insel, mit ein paar kegeligen Bergen drauf. Das wird alles immer kleiner. Und schließlich nur noch Wasser rundherum – eine ungewöhnliche Umwelt für einen Skipper wie mich, der jahrelang in Kroatien zwischen den Inseln herum gesegelt ist.

  

 

  

Wir verlassen den Schutz der Insel Sal. Wind und Welle kommen erwartungsgemäß von hinten. Das ist immer die unangenehmere Situation, sowohl was das Trimmen der Segel betrifft, als das Lenken am Ruder – egal ob von Hand oder mit Steueranlage. Und unsere drei Gleichgewichts-Sensoren haben bei solchem Rollen und Schlingern des Bootes die allergrößte Mühe, klar zu bleiben. Arnd bietet mir seine Tabletten an. Habe ich noch nie genommen, nehme ich auch jetzt nicht! Gerne lege ich das Akupunkturband um den Arm. Hilft’s nicht, so schadet’s nicht.

 

  

 

  

Es hilft nicht. Nach einigen Stunden ist es soweit. Ich gebe den Mageninhalt ab und werfe in Demut eine Tablette ein. Drei Tage lange werfe ich noch nach. Dann haben sich meine Gleichgewichtsorgane koordiniert und es passt, ohne die geringste Übelkeit bis zum Ende der Fahrt.

 

  

 

Wer sich dafür interessiert, hier ein paar Gedanken, die ich mir zum Thema "Seekrankheit" gemacht habe.

 

Eine Nacht-Wache

  

 

  


Auf den Bildern ist die Nacht im Kommen. Richtige Nachtbilder habe ich nicht gemacht - sorry

Um 2100 UTC beginnt meine Wache. UTC, das ist etwa das, was früher als Greenwich-Zeit bezeichnet wurde. Die hier von mir angewendete Schreibweise für die Zeit entspricht den genormten Usancen in der Schifffahrt. Wache haben heißt, ich muss aufpassen, dass das Schiff nicht aus dem Ruder läuft. Wenn man, wie wir meist, mit der Windsteueranlage fährt, dann kann das passieren, wenn der Wind seine Stärke erheblich ändert und/oder ungünstige Welle auftrifft. Ansonst sorgt für den Kurs unser braves Helferlein, die Windfahnen-Steuerungsanlage (WFSA). Außerdem muss ich die Segel in Größe und Stellung dem wechselnden Wind gemäß anpassen.

Es ist nicht nötig, pausenlos Ausschau zu halten nach eventuell auftauchenden anderen Schiffen. Es genügt, alle 20 bis 30 Minuten den Horizont nach Lichtern abzusuchen. Innerhalb dieser Zeit bleiben korrekt beleuchtete Schiffe mit Sicherheit so weit entfernt, dass für das Ausweichen genug Zeit verbleibt. Nach schlafenden Walen oder schwimmenden Containern Ausschau zu halten bringt nichts – man sieht sie ohnehin nicht. Das fällt in die Kategorie der unausweichlichen Naturereignisse.

Eines Nachts ist das so gewesen: Ich blicke noch mal in die Runde. Dann stelle ich meinen Handy-Wecker auf 20 Minuten, lümmle mich quer auf meine Koje und bin in wenigen Sekunden in traumlosem Tiefschlaf. Mit dem Summerton steh ich auf, stell den Wecker ab und neuerlich auf 20 Minuten ein. Dann schau ich nach draußen, ob ein anderes Schiff zu sehen ist (kommt seit 5 Tagen nicht mehr vor). Wie geht es der WFSA? Wie steht das Vorsegel? Stimmt der Kurs? Alles klar! Hinab in die Heckkabine, auf die Koje gelümmelt, Beine in der Ruderanlage deponiert (da bewegt sich nichts, denn wenn das kleine Helferlein arbeitet, ist das große Ruder stillgelegt). Und ich sacke augenblicklich in den Tiefschlaf. Genau wie ich es in den Büchern der großen Einhand-Weltumsegler gelesen habe. Ich fühle mich in bester Gesellschaft und so richtig gut.

Um 0300 UTC endet meine "Wache". Ich entkleide mich schlafgerecht, schlüpfe in meinen wunderschönen Seidenschlafsack, bette mich in den schmalen Spalt zwischen dem Paket mit dem Beiboot und der Schiffswand. Das Beiboot verhindert, dass sich der rollenden Bewegung des Schiffes eine rollende Bewegung meines Körpers überlagert. Ich stelle den Wecker ein letztes Mal - auf morgen 0845. Nun beginnt meine Nacht.

Schlafen tu ich nicht. Sonderbar, schmunzle ich mir zu. Ich genieße die wechselnden Richtungen von der Schwerkraft und dem Beschleunigen meines Körpers. Ich spiele damit, den Verlagerungen des Körpers mit Muskelspannung zu wehren und dann wieder alles los zu lassen - wie vollkommen das immer auch gelingen mag. Das erinnert mich wieder mal an die Stunden beim Physiotherapeuten, der nach Feldenkrais-Methode Hand an mich legt. Hallo Stefan, sag ich zu ihm, schau, wie gut es mir geht! Und dann sind auch schon die Menschen von den Übungs-Abenden da. Und die FreundInnen aus der Breema-Gruppe scharen sich in meiner Kabine. Und alle sind sie auf einmal da, die mir jemals wohltätig gewesen sind in meinem Leben, an Leib, Herz und Kopf.

Auch andere kommen, ein paar Ungustln sind auch dabei. Ich habe selbstverständlich gelernt, dass die Letzteren meine eigenen Schatten sind. Ich teile meine Kabine mit Außenbordmotor und Badeleiter. Die stehen auf der anderen Seite. In genau jene dunkle Ecke stecke ich meine Schatten hin. Dazu hat man schließlich die dunklen Ecken.

Ich schau mir selber zu, wie ich immer noch nicht schlafe. Was da alles daher kommt an Gedanken! Von draußen dringt das Plätschern des Wassers herein. Die Selbststeueranlage rumpelt immer wieder mal. Dann klopft es dreimal energisch, als ob jemand Einlass begehrte. Es kommt aber niemand. Manchmal meine ich Menschenstimmen zu hören. Der Propeller des Windgenerators summt in wechselnden Obertönen sein ewiges Lied. Wellen schlagen ans Boot. Bläst da ein Wal? Der Wind saust in Segel und Rigg. Die Genua knallt und ruft nach Zuwendung. Es geht mich nichts an, jetzt hat Arnd Wache.

Und dann summt der Wecker. Ich muss doch geschlafen haben, denn sonst würde ich ja jetzt nicht aufwachen können, wird mir langsam klar.

Das war so eine der typischen Nacht-Wachen mitten am Atlantik.

 

Tag-Wachen

  

  

Meine Tag-Wachen beginnen immer um 0900 und enden um 1500. Meine Wachen fallen also immer auf einen durchgehend taghellen Abschnitt und einen nächtlich-dunklen. Zu Sonnenauf- und –untergang immer hat Arnd Wache.

Habe ich in der Nacht Muße, mich dem werdenden, runden und scheidenden Vollmond und den Sternen hinzugeben, ist am Tag mein Schauen bei den Wolken.

  

  

Nie glüht die Sonne aus dem blanken Himmel herab. Am Tag ist immer Wind - genug, um es angenehm kühl zu haben. Und fast immer sind Wolken am Himmel und schenken uns schattige Abschnitte.

  

An den ersten Tagen ist es sogar sehr kühl. Erst nach der ersten Woche legen wir die wärmere Kleidung ab und segeln barfuß. Jetzt ist mir klar, warum das die Barfußroute genannt wird. Das kommt von den Ost- und Nordsee-Seglern. Die sind es nämlich – im Gegensatz zu uns österreichischen Adria-Seglern – gewohnt, in Ölzeug, mit Stiefeln an den Füßen und dem Südwester am Kopf zu segeln.

    

Manchmal ziehen dunkle Wolken auf. Allmählich nimmt der Wind zu. Es gibt Böen bis 7 bft (bft steht für Beaufort, das ist die Einheit der Windstärke, benannt nach der vom brit. Admiral Sir Francis Beaufort im 19. Jh. gegebenen, heute noch üblichen Tabelle. Der Zusammenhang mit der – erst später erfundenen Einheit der - Windgeschwindigkeit lässt sich nicht einfach mit einem Faktor herstellen. 7 bft entspricht 28 bis 33 Knoten, bzw. 14 bis 17 m/s).

Für Umstellungen an den Segeln benützen wir grundsätzlich nur den Tag.

Hier ist die Genua (so heißt jenes große Vorsegel, das irgendwann in Genua oder von einem Genuesen erstmals angewendet worden ist), mit Hilfe des Spinakerbaumes nach backbord „ausgebaumt“. Auf diese Weise ist es möglich, einen Kurs zu fahren, wo der achterliche Wind auch einige Grade seitlich von backbord kommen kann, ohne dass die Genua einfällt. Der Baum zwingt ihr einen entsprechend günstigeren Winkel auf. Und falls sie dennoch zu flattern beginnt, kann sie – dank Spinakerbaum - nicht umschlagen auf die andere Seite.

Knapp hinter dem Vorstag, daran ist die Genua befestigt, sieht man am Bild ein zweites Stag. Daran ist das Kuttersegel befestigt. Es wird auf der anderen Seite, hier also steuerbord gefahren. Es braucht nicht ausgebaumt zu werden, so lange der Wind ein wenig von backbord kommt, oder zumindest genau von achtern. Weil er das nicht immer tut und Arnd keinen weiteren Spi-Baum hat, behilft er sich manchmal mit dem Großbaum (am Bild ist das nicht der Fall). Das ist zwar nicht ganz befriedigend, jedoch viel besser als gar kein Baum. Das ist nun der Passat-Schmetterling mit Genua und Kuttersegel:

 

 

Das Großsegel einzusetzen, ist bei diesem sehr achterlichen Wind nicht sinnvoll gewesen. Die Narwal hat ein wunderbares, klassisches Lattengroß, recht bauchig geschnitten, beste Eigenschaften für Am-Wind-Kurse. Vor dem Wind allerdings liegt das Groß im oberen Bereich ganz schnell an Wanten und Salingen (das sind die Mast-Verspannungen) an, da ist der Baum unten noch keine 40 Grad ausgebaumt. Dazu die kleine Segelfläche des so genannten Großsegels. Mit den beiden Vorsegeln ging das viel besser.

Arnd legt Wert darauf, dass wir vom geplanten Kurs nicht sonderlich abweichen. Deshalb gibt es immer wieder mal was herumzubasteln an den Vorsegeln – Genua mal backbord, mal steuerbord ausgebaumt, mit Kutter auf der anderen Seite, mit Kutter auf der gleichen Seite, ganz ohne Kutter, nur mit Kutter, doch mit Großsegel, letztendlich aber immer ohne. Verursachend für alle Manöver mit den Segeln ist auch der Wind mit seiner wechselnden Richtung und Stärke. Ich habe reichlich Gelegenheit, die Besonderheiten, die Trimmsituation in den verschiedensten Besegelung, Windstärken und –einfallswinkel zu verinnerlichen.

Das ist die Windfahnensteueranlage WFSA. Nicht alles, nur der obere Teil, die Windfahne, ist am Bild zu sehen. Die Windfahne wird vom Rudergänger idealerweise so eingestellt, dass jene Kante mit dem flatternden Bändchen dran dem Wind genau abgekehrt ist, wenn die Schiffslängsachse den gewünschten Winkel zum scheinbaren einfallenden Wind hat. In diesem Fall steht die Windfahne (dank Gegengewicht und Ruderblatt) senkrecht nach oben. Drehen Schiff und mit ihm die Windfahne, so trifft der Wind seitlich auf die Fahne und drückt sie – wie am Bild zu sehen – zur Seite. Über ein Gestänge wird diese Bewegung auf das Ruder der WFSA übertragen, das dann der auslösenden Schiffsdrehung entgegen wirkt, bis es wieder auf Kurs ist. Das gleiche Spiel läuft übrigens ab, wenn nicht das Schiff, sondern der Wind dreht. Dann behält das Schiff zwar zum Wind den gleichen Kurs. Der Kurs über Grund allerdings wird anders. Auch die Stärke des Windes nimmt Einfluss auf den Schiffskurs, weil ein stärkerer Wind scheinbar immer achterlicher kommt. (Denn der Fahrtwind – von vorne - nimmt nie im gleichen Verhältnis zu wie der wahre Wind, sondern weniger).

Die WFSA auf der Narwal ist von jenem Typus, der sein eigenes Ruder hat und nur auf dieses wirkt. Das Hauptruder wird still gelegt. Es bekommt allenfalls eine Voreinstellung, um jenes Drehmoment auszugleichen, das die nicht ideal getrimmten Segel dem Schiffskörper geben.

Wer jemals an einem Ruder gestanden ist, weiß, dass das Schiff ständig daran gestört wird, seinen vorgegebenen Kurs einzuhalten. Nur selten gelingt es, die Segel so ideal zu trimmen, dass der Schiffskörper den idealen Kurs grundsätzlich „von selber“ hält, das heißt „stabil“ ist. Meist ist der Kurs ein indifferenter oder gar labiler Zustand. So wie beim Gleichgewicht am Fahrrad, wenn es steht – entweder fällst du nach links hinunter oder nach rechts. Das Schiff dreht entweder nach steuerbord oder nach backbord aus dem Kurs. Und wenn es aus dem Kurs ist, dann dreht es gern noch ärger weg. Jedenfalls bei uns. Da musst du hurtig und kräftig ausgleichen. Von der WFSA kann man da einiges lernen. Sie schafft das recht gut. Die Kursabweichungen liegen oftmals unter ± 10°.

Mächtig stören den Kurs des Schiffes die achterlich-seitlich kommenden Wellen. Sie sind das Normale bei der Antlantiküberquerung um diese Zeit auf dieser Route. Die WFSA meistert das unglaublich gut. Arnd freut sich über sein Helferlein. So ein Ding kostet an die € 3500. Da darf es auch arbeiten dafür. Er sieht es gar nicht gerne, wenn ich das Hauptruder ergreife, weil – so die Sicht von Arnd - ich die Einstellung des Helferleins (so nennt er liebevoll seine teure WFSA) nicht hinkriege. Aus meiner Sicht kommt die WFSA bald einmal an ihre Grenzen. Ich würde ihr gerne mehr Autorität wünschen. Wenn sie es nicht mehr schafft, dann übernehme ich die Autorität am Ruder und lass das Helferlein da hinten werken was es will.

In so einer Situation ereilt mich eines Tages ein Regenschauer. Es ist ein Genuss! Der Wind legt zu. Das Helferlein schafft es noch weniger als zuvor schon. Meine Autorität am Ruder ist noch mehr vonnöten. Schon zeigt der Windmesser 7 bft scheinbaren Wind. Gerefft habe ich rechtzeitig. Ich bin nass durch und durch. Doch es ist warm. Nach einer halben Stunde scheint die Sonne und bald ist alles wieder trocken.

In den letzten Tagen der Überquerung legen Wind und Welle so zu, dass ich eines Nachts während der halben Wache selbst am Ruder stehe und auf den Kompass starre. Als Arnd übernimmt, und auch er das Helferlein nicht mehr einzustellen vermag, macht er sich leichter: Er nimmt den Autopiloten zur Hilfe. Das war in den Tage zuvor stets sehr verpönt, denn wozu haben wir denn das teure Helferlein! Und der Autopilot braucht Strom, wenngleich er ein stromsparender, weil elektro-hydraulischer Typ ist. Von dem kann man ordentlich lernen. Er ist Wind und Welle von achtern spielend gewachsen. Da scheitern normalerweise die billigeren, nur elektromechanischen Autopiloten – sie steigen aus, oder brechen gar ganz schnell. Was ich lerne von diesem Autopiloten, ist seine blitzschnelle und sehr kräftige Reaktion und auch wieder die Rücknahme, nicht erst, wenn das Schiff reagiert hat, sondern wenn es begonnen hat zu reagieren.

Meine Wache am Tag erschöpft sich somit nicht nur in der Betrachtung der Wolken, sondern auch im Hinspüren und Verinnerlichen des bestmöglichen Segeltrimms auf Vorwindkurs, auf das, was die WFSA braucht, um ihre genialen Fähigkeiten zu entwickeln und wo ihre Grenzen sind.

Lesen tu ich kaum was. Lesen ist für mich Abenteuer im Kopf. Hier an Bord ist Abenteuer live. Da möchte ich dabei sein. Warum sollte ich mich mit einem Buch weg beamen aus dem Hier und Jetzt ins Kopfige?

Hier bewegte Bilder "auf der Narwal" http://www.myvideo.at/watch/6326328

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