Am Wiener Westbahnhof treffe ich auf Altfreunde

Für die letzte Strecke, die mich nach Österreich bringt, bedarf es keines Nachtzuges. Die Fahrt dauert etwa 3 Stunden. Abfahrt im Stundentakt.

Ich habe es offensichtlich noch nicht ganz realisiert, dass ich in Österreich bin: Um den Kellner im Cafe Westbahn in Wien anzureden, hatte ich im Kopf unbewusst Sätze auf Englisch vorbereitet, die ich dann bewusst zurück ins Deutsche übersetzen musste (Ironie am Rande: Der Kellner hat mit deutlich osteuropäischen Akzent geantwortet). Diese Umstellung werde ich bald geschafft haben. Im Moment überwältigt mich die rasche Ankunft des Frühlings. Ich habe 4 Winter ausgelassen, dann aber doch Kälte in China gehabt, Schnee und Eis zu den Fenstern der Transmandschurisch-Transsibirischen Eisenbahnwaggons hereinschauen sehen und schließlich nichts wie braune Wiesen bis Moskau. Dann ein zarter Hauch an den Laubbäumen in Kiew, deutliches Grün und Vogelstimmen in Budapest und hier in der Wachau blüht, grünt und zwitschert es - der Frühling ist voll da.

In Wien am Westbahnhof erwartet mich die Monika L. Sie initiiert neu mich mit Umarmungen bester österreichischer Qualität. Bei ihr habe ich viele Tanztage gemacht mit Free Dance, Authentik Movement und Kontaktimprovisation. Das habe ich dann als weltweit geltend aufgefasst und praktiziert.

Es folgt ein kleines Klassentreffen. Wir waren zu zweit, der Willi und ich.

Dann treffe ich auf Hans D und Wolfgang W, zwei Buben von der Männergruppe. Ich sitze ahnungslos im Zug nach Krems an der Donau, da heißt mich der Hans per Handy in Tulln den Zug zu verlassen. Er lässt es sich nicht nehmen, mich und unseren Freund Wolfgang mit seinem tollen weißen Mercedes abzuholen.

Wir speisen gemeinsam, berichten einander Neues aus der weiten Welt und aus dem kleinen Österreich.

Gastfreundschaft und Kultur in Tulln

In der Tullner wunderschönen und gastfreundlichen Jugendherberge find ich guten Schlaf und reichlich Frühstück. Ich wusste gar nicht, wie schön Tulln ist.

Ich lerne Egon Schiele kennen, denn er ist in Tulln zur Welt gekommen. Seine frühen Werke sind im Schiele-Museum zu sehen.

Unweit des Schiele-Museums am Donauufer hat die "Stadt Wien" festgemacht.

Sie ist das Schwesterschiff der "Stadt Passau", die ich, wie im Bericht "Budapest" beschrieben, in Ungarns Hauptstadt unter nun anderem Namen gesichtet habe. Die "Stadt Wien" ist in Privatbesitz gekommen. Sie ist ein Restaurantschiff geworden, unternimmt allerdings regelmäßig Ausflugsfahrten in die Wachau - leider nicht an diesem Tag, wo ich in Tulln bin. Bis Krems bin ich auf den Zug angewiesen. Die Donauuferbahn zwischen Krems und Linz hat man während meiner Abwesenheit eingestellt, sodass ich in die Wachau ab Krems den Bus nehmen muss.

Zur Apfelbaumblüte in der Wachau

Ich fahre bis Willendorf und beziehe bei der Familie Strutz ein schönes Zimmer zu angemessenem Preis.

Hier überwältigt mich der Frühling

Die Feuerwehr stellt den Maibaum auf

Auch in Willendorf gibt es ein Museum. Es widmet sich der "Venus von Willendorf". Das ist eine Venusfigurine aus der jüngeren Altsteinzeit, um 25000 v. Ch. entstanden.

Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Venus_von_Willendorf

Hans D hat sich wieder eingefunden. Wir pilgern gemeinsam zum Museum und geben hier dem Symbol der Weiblichkeit die Ehre.

Beim Bau der Donauuferbahn war man zuvor schon immer auf Spuren früherer Bewohner gestoßen. Am 7. August 1908, als die 11 cm kleine Figur gefunden worden war, sind die Archäologen gerade vor Ort gewesen. Das Original steht im Naturhistorischen Museum in Wien. Kopien aller Größen sind im Willendorfer Museum zu sehen.

Was heutzutage als schön bezeichnet wird, entspricht nicht dem, was der Schöpfer der Venus in seinen Träumen gesehen und dann in Kalk gemeißelt hat. Er hatte einen wohlgeformten vollen Bauch gesehen, mächtige Brüste und das primäre Geschlechtsmerkmal. Schlanke Hände liegen auf den Brüsten. Sie hat einen Lockenkopf. Das Gesicht ist im Detail nicht herausgearbeitet. Gesäß, Ober- und Unterschenkel sind naturnahe und gut proportioniert zum übrigen Körper gemeißelt. Die Figur könnte die starke Stammesmutter darstellen und/oder verehren wollen. Es könnte auch eine Göttin gemeint sein. "Wir wissen es nicht, was die Menschen damals gedacht haben", ist auf einer der Wandtafeln zu lesen. Auch aus den Funden ließe sich das nicht erschließen.

Quelle: http://willendorf.info/
Verschönerungs- und Museumsverein Willendorf

Im Naturhistorischen Museum in Wien ist das Original der Venus von Willendorf zu sehen.

Im Wachauerhof in Spitz an der Donau finde ich Internet-Zugang und eine gute Küche. Hier erreicht mich der Anruf von B. Sie ist die, die mich in Gran Canaria besucht und mir den neuen Laptop mitgebracht hatte. Wir haben dort dann gemeinsam geWWOOFt. Der Zufall will es, dass sie mit ihrem Freund auch gerade in der Wachau ist ---. Eine halbe Stunde später sitzen die beiden bei mir am Tisch.

Zu Schiff die Donau aufwärts bis Grein

Es ist Sonntag, der vorletzte April. H bringt mich in seinem weißen Mercedes noch bis zur Schiffslände.

Mit dem ersten Linien-Personenschiff dieser Saison fahre ich von Spitz nach Grein.

Schloss Schönbühel bei Melk

Wir kommen an malerischen Dörfern im Nibelungengau vorbei: Maria Taferl

In Persenbeug passieren wir das älteste Donaukraftwerk Österreichs

Im Strudengau

Wir erreichen schließlich Grein

Die "Anton Bruckner" fährt ohne mich weiter, denn ich verlasse vorerst das Schiff und gebe der Seele noch einmal zwei Tage Zeit, um nachzukommen.

Ich suche den Greiner Campingplatz auf. Von ihm habe ich mehrmals Lob vernommen.

Ich bekomme hier ein kleines Hüttchen zum Übernachten.

Gemanagt wird der Campingplatz von der Familie Colesnikov. Die machen das wirklich mit viel Begeisterung. Alles ist tiptop, sauber und funktionsfähig. Die Colesnikovs betreiben ein privates Lokal-TV. Am nächsten Morgen gebe ich ein langes Interview, woraus eine längere Geschichte gemacht werden soll.

Grein erinnert mich an die vielen Urlaube am Bauernhof mit meiner Familie. Ich bin hier fast ein wenig daheim. Ich mache eine kleine Runde über den Stadtplatz und besuche eines der Gasthäuser.

Ich treffe mich mit E und M, Altfreunden aus der Nähe von Grein. Es wird daraus ein gemeinsames Abendessen mit vielen Gesprächen. Es wird mir helfen, zu Hause nicht allzu heftig aufzuschlagen.

Am 1. Mai 2012 gegen Mittag treffen mein großer Bruder mit Frau und Schwager am Fahrrad ein.

Völlig unerwartet kommt auch Herwig T angeradelt.

Punkt 12:00 trifft die "Anton Bruckner" aus Linz ein. Sie macht hier anderthalb Stunden Mittagspause und fährt dann wieder nach Linz. Die Reederei Wurm & Köck ( http://www.donauschiffahrt.de/ )hat sich die Ehre gegeben, mich gratis von Grein nach Linz zu fahren. Als um 12 das Schiff aus Linz ankommt, winken Max und Paul vom obersten Deck herunter.

An Bord sind Max und Paul, um mich in Grein abzuholen.

Das ist der Paul

Mit Max hatte ich vereinbart, dass ich ihn anrufen würde, falls ich unterwegs psychische Probleme bekäme. Max hatte im Vorfeld immer mal beim Nachdenken geholfen und Fragen gestellt, wie das bei den Psychologen so der Brauch ist. Diese Fragen scheinen bei mir gut angekommen zu sein, denn der schlimmste anzunehmenden Unfall - in ein schwarzes Loch zu fallen - ist nicht eingetreten.

Max ist den Lesern des Tagebuches bekannt, denn er hat sich auch dort gelegentlich gemeldet

Und ganz überraschend: Jörg mit Frau und Kind sind auch gekommen. Jörg war mein wertvoller Ratgeber, wenn ich unterwegs technische Probleme mit dem Laptop hatte.

Es gibt ein gemeinsames Mittagessen am Campingplatz.

Auch Hans in weißem Hemd ist wieder gekommen - am Landweg im weißen Mercedes (nicht im Bild).

Während des Essens darf ich einige der Geschichteln zum Besten geben, wie ich sie zuvor beim TV-Interview schon geübt habe. Dann wird's Zeit, auf's Schiff zu gehen.

Es wird eine schöne Fahrt bei Sonnenschein. Ich übernehme auf 500m das Steuer der "Anton Bruckner". Es gelingt mir, den langen Kahn exakt in der Mitte zwischen den beiden Pfeilern der Brücke hindurch zu lenken.

Dann bekommt der Kapitän das Ruder zurück bis Linz.

An der Pier in Linz steht die überschaubare Menge von 18 Menschen. Sie bricht in Jubel aus, als ich mich ganz vorne am obersten Deck zeige.

Hedwig und Sigrid, meine Zwillingstöchter (die Sigrid aus NZ ist zufällig zu Besuch in Ö) spielen auf Schwegeln eine flotte Melodie, Enkelin Sarah und Freundin Barbara trommeln dazu.

Ich bin kaum an Land, da bricht eine gewaltige Umarmungsorgie aus.

Wir sitzen noch eine Weile im nahen Kaffeehaus beisammen, ehe ich ein Bett im gastlichen Hause der Uraltfreunde Hans und Helga aufsuche. Zwei Tage später ziehe ich ins "dasparkhotel" in Ottensheim.

Blick von meiner Suite in den Park, die Kneippwiese und die Freiluftdusche unter den Bäumen

Gemeindeamt Ottensheim

Foto: Kornelia Pirngruber, Ottensheim

Diese Marktgemeinde liegt im Mühlviertel. Sie ist unmittelbar benachbart mit Puchenau, wo ich geboren bin und die anschließenden 63 Jahre gewohnt habe und mit St. Gotthard, jener Gemeinde, in der ich die letzten 5 Jahre vor meiner Abreise gewohnt habe.

Radler bei der Freizeitfläche an der Rodl

Foto: Kornelia Pirngruber, Ottensheim

Die Rollfähre zwischen Ottensheim und Wilhering

Foto: Kornelia Pirngruber, Ottensheim

Damit betrachte ich meine Reise geografisch beendet. Ich bin rund um den Erdball gezogen und nun wieder angekommen, von wo ich vor 1442 Tagen abgereist war. Der Kreis ist geschlossen. Ich blicke glücklich zurück - nichts Böses ist mir widerfahren, es gab keinen nennenswerten Unfall, ich bin nicht ernsthaft erkrankt, ich habe keine Gewalt durch andere Menschen erlitten. Ich habe viel gesehen, ich bin vielen lachenden Menschen begegnet, ich habe trauernden Menschen zugehört, ich bin hunderte Male willkommen gewesen, ich habe gesungen, getanzt, getrunken gegessen, geschnorchelt, gesegelt, gearbeitet, gescherzt, gelacht und gefühlt mit anderen und alleine. Und zu Hause kennt man mich noch. Es ist schön, dass ich wieder da bin.

Der Marktbrunnen in Ottensheim

Foto: Kornelia Pirngruber, Ottensheim