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Kricket - Ein langer Bericht über einen langen Tag!


Wenn du am Fernsehschirm einen Mann siehst, der – bekleidet mit einem Pyjama - plötzlich wie wild zu laufen beginnt, dann mit einer zuletzt kreisenden Bewegung eines Armes einen Ball wirft, ein anderer Mann mit einem durch ein Visier vergittertes Gesicht und einem Prügel in den Händen versucht, diesen Ball zu parieren, dann plötzlich auch wild zu laufen beginnt, ein von der gegenüber liegenden Seite kommender, ebenso adjustierter, Mann auch wie wild läuft, wenn die dann vielleicht gleich wieder umkehren und wieder zurücklaufen, wenn du einen siehst, wie er auf der grünen Wiese diesem Ball nachspringt und wie der sich freut, wenn er ihn erwischt hat und alle Spieler, die den selben Pyjama tragen wie er, ihn plötzlich umjubeln – dann kann das nur Kricket, englisch Cricket sein.
Am Freitag lasse ich mich von Marianne verführen, ein Cricket-Spiel im nahen Stadion zu besuchen. Marianne ist meine Favoritin unter den Obstverkäuferinnen. Sie hat ihren Stand gleich bei jener Bushaltestelle, wo auch Sebastian, mein Favorit unter den Kokosnuss-Schlächtern, die Machete schwingt.
Ich, der ich noch nie einem ernsthaften Fußballmatch ernsthaft beigewohnt habe, ich soll mir ein Cricket anschauen? Im Wikipedia – meiner bevorzugten Wissensquelle in der Fremde – habe ich zuvor schon mal versucht, zu ergründen, was die Spieler mit dem Ball im Sinn haben und warum sie so unverständlich hin und her laufen. Ich gestehe, ich bin dadurch nicht so richtig reif geworden, einem Spielverlauf zu folgen.


Um 8 Uhr morgens stehe ich zur vereinbarten Zeit an der vereinbarten Ecke und warte auf Marianne. Das Spiel beginne um 9 Uhr, hatte ich sie verstanden. Es nieselt. Anruf um halb 9: Ich verstehe „I’m coming!“
Ich beobachte argwöhnisch, dass viele von den vielen Menschen, die da unterwegs zum Stadion sind, Klappstühle und Proviantkoffer dabei haben. Ich kauf mir vorsorglich in der Bäckerei 2 süße Weckerl.
Als Marianne auftaucht, habe ich sie aufgegessen (die Weckerl). Sie klagt über den vielen Verkehr. Ich vermute eher, dass sie am Spiegel mehr Zeit verbracht hat, als zuvor kalkuliert. Denn sie hat ihr kleingekräuseltes Haar, eingelegt in bunte Bänder, wirklich sehr schön aufgesteckt.


Um halb 10 steigen wir ins Sammeltaxi. Ich habe zu wenig EC (= Ostkaribische Dollar, die Landeswährung) bei mir. Mit meinen Euros bekomme ich keine Karten. Wir finden einen Hügel gleich neben dem Stadion, mit guter Aussicht auf den Spielplatz. Wir sind hier ganz und gar nicht alleine. Micki hat hier einen kleinen Stand eingerichtet. Er bietet einheimisches Essen: Fisch, Süßkartoffel, Dasheen, Kochbanane, Planta.


Um 11 Uhr bestelle ich eine Portion. Ein Mann hat Pampelmusen anzubieten. Ich habe Gelegenheit zu Smalltalk mit anderen Menschen „auf den billigen Plätzen“. Irgendwie hatte ich Sorge, als weißer Mann an der Seite einer farbigen Frau ungern gesehen zu sein. Doch das war völlig unbegründet. Ich habe an diesem Tag nur freundliche fröhliche Menschen erlebt. Marianne sagt mir am Abend, sie habe es genossen, dass die Leute meinen, sie habe jetzt einen weißen Freund.


Vom kleinen, rasenlosen Teil des Spielfeldes wird die Plane weggezogen, die ihn vor dem Regen geschützt hat.


Um 12 Uhr erscheinen ein paar Spieler in blauen und rotbraunen Pyjamas. Das Volk jubelt. Die Männer dribbeln an einem Fußball herum. Cricket ist das noch nicht. Irgendwann bekomme ich heraus, dass heute England gegen Westindien spielt, nein spielen würde. Noch spielt sich nichts ab.


So gegen 1 Uhr war der nasse Rasen spielfähig geworden. Es geht los: Rennen, werfen, schlagen. Und wo ist der Ball hingekommen? Die Entfernung macht es schwer, den Ball auszumachen. Manchmal läuft einer von den auf der Wiese stehenden Männern plötzlich los. Der möchte ganz schnell an den Ball herankommen. Denn so lange er den Ball nicht hat und ihn nicht in die Mitte des Platzes geworfen hat, so lange können die beiden im Visier und mit den Schlägern ausgestatteten Gegenspieler auf dem kleinen Spielfeld hin und her laufen. Jeder Lauf 1 Punkt? Ja, bestätigt Marianne: „No run, no points“ vertiefe ich mein Verständnis der Regeln. Letzte Erkenntnis: Wenn der Mann auf der grünen Wiese den Ball im Fluge fangen kann, dann jubeln ihm alle zu, die den Pyjama mit gleichen Farbe haben wie er und das halbe Volk auf den Tribünen. Der somit geschlagene Batsman, der mit Visier und Schläger, scheidet aus. Ein anderer rückt nach.


Wie ich das durchschaut gehabt habe, ist es 5 Uhr gewesen – für mich Zeit zum Aufbruch. Es ist ja doch immer das Gleiche: Anlauf, Wurf, der Batsmann schlägt den Ball zur Seite, dann läuft er los, oder auch nicht, einer auf der Wiese läuft dem Ball nach. Erreicht der Ball unbehelligt den Rand des großen Spielfeldes, gibt es 6 Punkte für die Partei des Batsmannes und großen Jubel auf der Tribüne.
Wie die Cricket-Regeln wirklich lauten, findest du auf http://de.wikipedia.org/wiki/Cricket .
Eine, für die Zuschauer ganz wichtige Regel ist dort nicht zu finden: Nimm dir genug Proviant mit und – falls du Besucher auf einem der billigen Plätze bist – Klappstuhl und Sonnenschirm!
Denn so ein Cricket-Spiel ist tagesfüllend!
Ich finde noch ein Lokal zu einem gemeinsamen Trunk. Am Nebentisch sitzen meine Freunde von der deutsch-österreichisch-schweizerischen Skipper-Kolonie beim Umtrunk. Ich genieße deren große Augen für die karibische Schönheit an meiner Seite. Dann bringe ich die Marianne artig zur Bushaltestelle. Westindien hat verloren, erfahren wir dort. Marianne ist den Tränen nahe.
Ein interessanter Tag ist das gewesen. Ich bin mitten im Volk gewesen, habe was vom Temperament und vom Wesen der Menschen hier erleben dürfen. Und auch die weibliche Energie habe ich gerne gespürt. Und ich habe eine Ahnung von den Spielregeln des Cricket bekommen.
Am nächsten Tag treffe ich einen Schotten. Ob er das Spiel gestern gesehen habe? Selbstverständlich – im TV. Ich bin live dabei gewesen, trumpfe ich auf. Aber mit den Regeln, das sei mir noch nicht ganz klar geworden. Der Schotte: Er kenne Cricket schon seit dreißig Jahren. Die Regeln? Das sei schwer ergründbar.

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