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Kuba, der Himmel, Santaria und die Zukunft


Adrian Vonwiller hat mir während seiner Reise diesen Text zugemailt. Es ist einer jener Ur-Texte, aus denen er inzwischen ein Buch geschrieben hat, mit Bildern aus der Kamera seiner Reisegefährtin Ligia Fonseca. Er hat es am 29.03.2014 in Wien der Öffentlichkeit präsentiert: Superman im Vogelkäfig, erschienen bei UNARTPRODUKTION, ISBN 978-3-901325-87-8. Ich habe es gelesen – sehr empfehlenswert!

Der nachfolgende Bericht stammt von Adrian, meinem Reisefreund. Adrian habe ich Vanuatu getroffen. Der professionelle Reiseleiter, Musiker, Komponist und Menschenfreund ist zur Zeit der mit seiner Freundin, aber sonst alleine unterwegs - zurzeit in Kuba, wie er mir berichtet hat. Er sei dort Überwältigt gewesen von der Life-Musik in allen Straßen und Ecken.

Überwältigend finde ich seinen Bericht. Er sei hier wiedergegeben, nahezu unverändert. Ich habe mir erlaubt, den Vorschlägen meines Rechtschreibprogrammes folgend, ein paar Buchstaben zu ändern. Die einzelnen Absätze habe ich ein wenig zu formatiert, um das Lesen zu erleichtern.

Ich empfinde, dass Adrian frisch von der Leber weg berichtet. Da wird nicht viel im Kopf herum befunden und erwogen ob das „politisch“ (im Sinne von „höflich, artig“, wie ich das Englische „polite“ verstehe) alles korrekt ist, was da aus der Leber in den Komputer fließt. Meine Empfehlung: Einfach wirken lassen, wie ein erstmals gehörtes MusikstÜck, ein vordem nicht gesehenes Gemälde – ohne dem Kritikasmus des Adrian noch eine eigene Bewertung draufzusetzen.


2012/3/19 7:52
lieber volkmar,
wo bist du ? schon in oesterreich?

mittlerweile sind wir wieder zurueck in mexico nach fantastischen 3 wochen in havanna: s. untenstehenden bericht.

wir sind jetzt wieder unter den normalsterblichen (ohne musikalitaet), dafuer gibt es wieder internet und zahnpasta und bereiten unsere weiterreise nach belize und guatemala vor.
liebe gruesse,
adrian


Kuba

Fuer die, die keine Ohren haben:

Kuba ist nichts Besonderes: Just another, am Kleinegoismus gescheitertes, Sozialismusexperiment.

Es gibt: Kolonialbauten (Guatemala ist schoener), Strand (Belize ist besser), alte Autos (mit nachtraeglich eingebauten, stinkenden Dieselmotoren), Sextourismus (kann ich nicht wirklich beurteilen, aber ich habe mir sagen lassen, das gibt es in anderen Laendern auch), das Essen ist miserabel (verglichen mit Mexiko) und die Landschaft ist nichts Besonderes.

Kuba ist definitiv keine Reise wert!

Der nachfolgende Bericht ist nur fuer diejenigen bestimmt, die Ohren besitzen:


Der Himmel

Halleluja! Ich bin im Paradies! Gottseidank! Der liebe Gott hat meine Bitte erhoert! ich habe in der ersten Nacht in Havanna mehr gute Musik gehoert als in anderthalb Jahren, im Rest der Weltreise, zusammen.

Jetzt sind wir neun Tage in Havanna und jeden Abend ausgegangen und dabei kaum weitergekommen als einen Kilometer im Quadrat. Die Altstadt, "Havana vieja", erstreckt sich vom Malecon, der Promenadenstrasse am Meer, bis zum Bahnhof und vom Prado, beziehungsweise vom Hotel Inglaterra bis zum Hafenbecken. (Das "Centro" erstreckt sich von der anderen Seite des Prado in Richtung Westen). In diesem Geviert sind fast alle Haeuser alt, die Gassen eng, die schmiedeisernen Gitter der abbroeckelnden Balkone und die Barockverzierungen an den Fassaden schoen, die Farben Pastell und die Autos alte Amerikaner aus den 40er und 50er Jahren.

Aber genug des Visuellen! Das Visuelle ist ja nicht der Grund, warum sich in diesem Geviert der Himmel auf Erden befindet. Gottseidank nicht! Sonst koennte man ja genausogut nach Perugia oder Salzburg fahren - auch schoene Staedte!

Um gleich ein paar Klischees ueber Bord zu werfen:


1. Klischee:

Die Vorstellung, dass es irgendeine andere Stadt der Welt eventuell schaffen wuerde auch nur annaehernd musikalisch an Havanna heranzureichen, kann man sich getrost abschminken: Nicht mal annaehernd! London nicht, Paris nicht, Wien und L.A. schon gar nicht, Berlin, Rom, Kairo, Delhi, Nairobi, Rio de Janeiro, - keine Chance! Glaubts mir, ich weiss, worueber ich rede!

Es gibt hier kaum Konservenmusik, alles ist hier live: Allein in der Calle Obispo befinden sich etwa 15 Orte in denen taeglich live Musik gemacht wird: Bars, Restaurants, Hotellobbys, Klubs, Discos, sogar in Parks und auf der Strasse, alles live!

An einem Abend wurde mir aller Lady Gaga-, Britney Spears-, Enrique Iglesias-, Katie Perry - Scheiss, alles Konserven-dumpf-dumpf-dumpf-dumpf aus den Ohren gespuelt! Ich bin gluecklich! Ich bin euphorisch!

Lieber Gott, hab Dank, Danke fuer Kuba. Es ist noch nicht alles seicht und dumpf-dumpf dumm! Vielleicht ist die Menschheit ja noch nicht ganz verloren!

Jeder Zweite traegt hier ein Musikinstrument unterm Arm; sie beginnen frueh damit, als Kleinkinder, und bis sie in einer Bar spielen duerfen, haben sie ein Niveau erreicht, das sie auf ihrem Instrument zu einem der Weltbesten macht. Natuerlich kommt nichts von nichts! Die Musikhochschule hier zaehlt zu den besten der Welt und alle koennen sie auch klassische Musik spielen und Noten lesen. (Arturo Sandoval von Irakere z. B. hat die besten Trompetenkonzerte der klassischen Musikindustrie eingespielt, z. B. Das Haydn- Konzert). Aber Noten lesen und richtig spielen koennen Koreaner und Wiener auch,- da beginnt es ja erst, -da kommt dann das "Musizieren", die Musikalitaet dazu. Es ist schon erstaunlich mit welcher Sicherheit und Leichtigkeit Kubaner zwischen Son, Rumba, Mambo, Beguine, Guajira, Bolero, Son-Montuno, klassischem Salsa mit allen dazugehoerigen Descarga-Formen, Cha-cha-cha, Trova, Kalypso, Merengue, Afro-Cuban, mit seinen unzaehligen Yoruba-Rythmen, Bomba, Casino, Bachata, Guaguanco, etc., etc., herumswitchen koennen, ohne auch nur fuer eine Sekunde an Groove zu verlieren.


2. Klischee:

Die Annahme, dass sich die Dominanz Kubas in der Welt irgendwann demnaechst aufhoeren wuerde, - vergiss es!

Kuba erfindet sich staendig neu!
Bereits im 19. Jh. nannte Bizet sein groovigstes Thema in seiner Carmen Habanera. Wahrscheinlich hatte er es jemandem geklaut, der es von jemandem in Havanna geklaut hatte. Und warum nannte Ravel seinen groessten Hit Bolero?
So ca. alle 20 Jahre kommt aus Kuba eine neue Welle ueber die Welt: So geschehen in den 1910er und 20er Jahren, und dann wieder in den 30ern. Und wieder in den 50ern: Cha-cha-cha, Rumba, Mambo, Beguine. Um nur ein paar Namen zu nennen: Perez Prado, Los Compadres, Sonora Matancera, Bola de Nieve, Benny More, Celia Cruz, Monguito, Ismael Rivera, Chocolate, Arsenio Rodriguez und viele, viele mehr. Jahrzehnte spaeter verstanden die Brasilianer eines der schoensten Liebeslieder von Pablo Milanes: Yolanda (In der zugegeben sehr schoenen Version von Chico Buarque) und ebenfalls Jahrzehnte spaeter verstanden die Deutschen Perez Prado's Mambo Nr. 5 (in der zugegeben sehr haesslichen Version von Luis Bega).

Wegen dieser fruehen Wellen kubanischer Stile heissen die Taenze der peinlichen Tanzweltmeisterschaften und der noch peinlicheren Dancing Stars "Lateinamerikanische Taenze".

Weiss jemand, dass der grosse Duke Ellington seinen groessten Hit "Caravan" nicht selber komponierte, sondern Juan Tizol verdankt, dass Louis Armstrong bereits in den 20er Jahren eine Version von "El Manisero" aufgenommen hat, dass Leonard Bernsteins " West Side Story" ohne kubanische Rhythmen wohl kaum in "America" sein wuerde?

Dann kam die fantastische "Fania" und "SAR" - Zeit der spaeten 60er und fruehen 70er Jahre in New York und Johnny Pacheco, Mongo Santamaria, Ray Baretto, Alfredito Valdez, Tito Puente, und Ruben Bladez, und Eddie Palmieri, etc., etc., nicht alles Kubaner, aber alle beeinflusst von Kuba natuerlich. Irakere mit Chucho Valdez und Arturo Sandoval haben alle ueberlebt.

In den 90ern kamen viele neue Gruppen, wie Los Van Van und Juan Formell, Grupo Folclorico y Experimental Nueva Yorquino, Manny Oquendo, Cubanismo, etc.

Heute sind es: Charanga Habanera, Manolito Simonet, Pupy y los que son Son, Bamboleo, Celia Gonzalez, immer noch Van Van und immer noch das Septeto National und Sonora Caliente und viele neue Stars, die ich nicht kenne.

Ausserdem strahlte Kuba so stark auf den afrikanischen Kontinent aus, dass eine der meistverkauften Salsa- CD's die All Stars- Aufnahme der senegalesischen Formation Africando wurde. Bereits in den 60er Jahren gab es den Begriff "Rumba Congolaise", urspruenglich beeinflusst durch die kubanischen Soldaten im Kongo, heute die erfolgreichste Musikrichtung in ganz Afrika.

Ebenfalls in den 90er Jahren kam die bis heute anhaltende Kommerzialisierung der Latino- Musik mit Gloria Estefan, Exilkubanerin in Miami, Jennifer Lopez, Marc Anthony, Ricky Martin und dann natuerlich dem Buena Vista Social Club, der Ausquetschung der letzten noch lebenden Relikte aus den 50er Jahren. Alles Millionenseller. Aber Achtung: Vor allem in Mexico und in den USA wird viel Latino- Schrott produziert, denn die Maerkte ausserhalb von Kuba sind um ein paar hundert Millionen groesser und ausserhalb von Kuba sind auch die Latinos im Schnitt musikalisch genauso dumm wie alle Andern auf der Welt. Am liebsten ist mir noch Shakira.

Heute Nachmittag gingen wir ins grosse Theatro America und sahen uns "Pupy y los que son Son" an. Der Eintritt fuer Extranjeros betrug 5 CUC (= 4 EUR), fuer Kubaner 10 Pesos (= 0.40 EUR). Das Konzert war eine Sonntagnachmittagsmatinee: Konzert (Theater-) Athmosphaere, Plueschbestuhlung, die Zuschauer nur Kubaner. (Die Touristen schlafen wahrscheinlich noch ihren Rausch vom Vorabend aus, oder gehen erst spaeter aus, wenn die Flittchen unterwegs sind). Punkt fuenf Uhr: Das Licht geht aus, der Vorhang auf, und elf Musiker, plus 4 Saenger legen los mit einer Kombination von ultraschnellem Son und Hip Hop, wie ich ihn noch nie gehoert habe: Praezisest und geil und der ganze Saal (Theatersessel hin oder her) springt auf und beginnt zu tanzen, als erste die etwa 70-jaehrige Grossmutter mit Enkel neben uns: "Hip Hop? Bitte her damit, aber geil!"

Kuba erfindet sich staendig neu!


3. Klischee:

Dass nur Schwarze Rythmusgefuehl haetten. Aber Nein! Unter den 15 Bandmitgliedern Pupy's war auch ein Weisser! Weisse duerfen auch mitmachen, wenn sie denn das Niveau der anderen mithalten koennen. Gute Musik kennt keinen Rassismus!

In Kuba spielt die Hautfarbe keine grosse Rolle: Arm sind alle (Von den 10 bis 15 Familien, die das Land oligarchisch regieren, einmal abgesehen). Schwarz, Weiss, und Farbig sitzt alles gemeinsam am Abend auf den Tuerschwellen ihrer abbroeckelnden Haeuser und geniesst das Leben in der Gasse, wo sie den Groove und den Rhythmus Havannas von klein auf lernen.

Schwarze Amerikaner schaffen es den Off-Beat von Soul und Gospel mitzuklatschen. Europaeer und Asiaten schaffen nicht mal 1,2,3,4 im Takt mitzuklatschen. (Deutschsprachige kennen eh nur Marschmusik beim Klatschen). Als die jungen Saenger von Pupy, alle so zwischen 20 und 30, ihr Publikum, das zum Teil viel aelter war als sie, zum mitklatschen aufforderten, klatschten die: Clave! Bitte: CLAVE!! Das ganze Publikum klatscht Clave! Aber praezis! Zu einem ultraschnellen, kompliziertest-synkopierten Son-Rythmus!

Was soll ich sagen? Der Rest der Welt verhaelt sich zu Kuba ungefaehr so wie der FC Gramatneusiedel-Ost zum FC Barcelona!

Ein paar Gedanken zur musikalischen Ueberlegenheit Kubas.

Durch das amerikanische Embargo, aber mehr noch durch die Armut, besitzen die Kubaner kaum elektronische Geraete: Ich habe in drei Wochen in Havanna und Trinidad de Cuba vielleicht zwei Menschen telefonieren oder sms-schreiben gesehen. Es ist extrem muehsam und teuer an einen Telefonchip zu kommen. Man steht auf der Strasse vor dem Geschaeft von Telepunto, der staatlichen Telefongesellschaft zwei bis drei Stunden in einer langen Schlange an, bis der Security einen einzeln ins Lokal einlaesst, wo sich die einzige Verkaeuferin eventuell, nachdem ihre Fingernaegel-Lackierung getrocknet ist, dazu herablaesst, einen Chip oder Telefonkredit fuer suendteures Geld zu verkaufen, aber nur, wenn man ganz lieb bittet. (Die grauslichen langen Fingernaegel der Kubanerinnen sind wahrscheinlich das einzige Kulturgut, das von der jahrzehntelangen Freundschaft mit der Sowjetunion uebriggeblieben ist).

Eine SMS ins Ausland, erfolgreich oder nicht erfolgreich uebermittelt, (egal, wird trotzdem vom Kredit abgezogen) kostet pro Versuch einen CUC, was ca. dem Tageslohn einer Putzfrau entspricht. Das Geraet selber ist sowieso unerschwinglich. Ein I-Pod, I-Phone, oder I-Pad haben nur die Touristen; Computer zu Hause ebenso.

Es gibt ein kubanisches Intra-net, das aber nicht mit der Welt verknuepft ist, damit die Kubaner moeglichst keine unliebsamen Informationen ueber die Welt da draussen kriegen koennen. Wi-Fi gibt es nur in den Hotel-Lobbys der teuren Fuenfstern-Hotels fuer Touristen, in die normale Kubaner gar nicht eingelassen werden. Man muss sich den Losungscode dazu an der Reception kaufen. Er kostet 8 CUC fuer eine Stunde Wi-Fi, also acht Tagesloehne fuer eine Putzfrau und es ist so gebrechlich und langsam, dass man oft die Haelfte der Zeit dafuer braucht, seine Mails auch nur zu oeffnen.

Fernseher sind ebenfalls selten und teuer und kriegen oft nur eineinhalb Sender, die nur brasilianische Telenovelas oder kubanische Musikshows bringen.

Da es also keine elektronische Gadgets und Unterhaltung gibt, leben Kubaner auf der Gasse, reden und spielen mit ihren Nachbarn und musizieren, analog. Wenn es keine Elektronik gibt, wird die Musik haendisch gemacht. Also kein Kruder und Hausmeister, sondern Musikalitaet.

Dazu kommt dann natuerlich noch die sozialistische, d.h. staatlich finanzierte Musikausbildung dazu, die, wie einst in der Sowjetunion, ein hoechstes Niveau erreicht und nicht glaubt, Musik als unnoetiges Orchideenfach durch Wirtschaftsarithmetik und Boersenkunde ersetzen zu muessen.

Es gab, waehrenddem wir in Havanna waren, mehrmals einen Stromausfall in der ganzen Stadt. Es ist interessant was dann passiert: Die Lichter gehen aus , aber die Musik geht weiter, weil alles, inklusive der Tres (der typischen kubanischen akustischen Gitarrenart mit drei mal zwei Saiten), und auch des Gesangs, eh unverstaerkt gespielt wird. Die Trompeter benuetzen oft einen Daempfer, um den unverstaerkten Gesang nicht zu uebertoenen. Aber wenn nicht, sind die Blaeserriffs so geschickt dazwischen gesetzt, dass es die anderen Stimmen nicht stoert. Da spielt nicht einfach jeder drauflos und schrummelt die Harmonien; da gibt es rhythmische und musikalische Gesetze. Jeder weiss, was er in einem Son-Montuno zu tun hat und vor allem, was nicht.

Die Pause ist oft das wichtigste in einem musikalischen Arrangement!

Und wenn sieben gute Rhythmusinstrumentalisten: Ein Conga-, ein Bongo-, ein Clave-, ein Tres-, ein Bass-, ein Guiro- und ein Cowbellspieler, alle wissen, was sie tun; bei weitem mehr koennten, aber das was sie tun mit Ueberlegenheit und Ueberlegtheit tun, entsteht etwas fuer den Normaleuropaeer Unverstaendliches und Ungeheuerliches, naemlich: Groove!

So wie es keine elektronisch programmierte Musik gibt, gibt es auch keine elektronisch programmierten Freundschaften in Kuba: Also kein Facebook, sondern echte miteinander gelebte Freundschaften, alles live und haendisch! Analoge Musik und analoge Freundschaften!

Zu Beginn des letzten Jahrhunderts war es, laut einem Bericht aus dem New York der Zwanzigerjahre so, dass die Musiker so angesehen waren und so gut verdienten, dass sie jeweils die Stars in einer Runde waren und oefters mal die Anderen zum Essen und Trinken einluden. Noch in meiner Kindheit und Jugend war das Idol ein Mick Jagger oder ein Frank Zappa und wir Jugendlichen wollten so sein wie sie.

Wenn heute einer in Europa einen Gitarrenkasten durch die Strasse traegt, ist er ein Looser. Heute heissen die Idole Cristiano Ronaldo, Gisele Buendchen oder Miley Cyrus. Reich wird man nicht durch das muehsame Erlernen eines Instruments. Musik wird elektronisch von einem Produzenten gemacht und dann eine synthetische Puppe wie Rihanna davorgesetzt, mal von Betriebsunfaellen, wie den Foo Fighters abgesehen, die tatsaechlich noch selber Musik machen koennen, unnoetigerweise.

In Kuba ist das anders: Wenn eine Band live auf der Strasse oder in einer Bar spielt, reicht sie von Zeit zu Zeit ein Koerbchen herum, in das die Touristen goennerisch einen CUC (ca. 85 Eurocent) legen. So kommt pro Koerbchenrunde oft 20 bis 30 CUC zusammen, immerhin ca. 20 bis 30 Putzfrauen- Tagesloehne. Gegenrechnung: Wie lange muss ein Musiker in Europa spielen, bis er einen Putzfrauen-Tageslohn zusammenhat. Das Koerbchen macht aber an einem Abend ca. 10 mal die Runde (sic!) und in dem Koerbchen befinden sich selbstproduzierte und kopierte CD's der Gruppe, das Stueck zu 10 bis 7 CUC, je nach Verhandlungsgeschick und weil die Musik so gut ist kauft man auch.

Ich kaufte eine Unmenge CD's ohne sie anhoeren zu koennen. Aber was soll ich machen? Ich bin auch dauernd geruehrt und euphorisch! Nach anderthalb Jahren miserabler Konservenmusik komme ich mir vor wie einer, der nach eineinhalbjaehriger Krankheit genesen ist: Ich habe gelitten und jetzt bin ich geheilt und gluecklich!

Ich glaube, ich muss das Euch Europaeern erklaeren: Als Europaeer hoert man dann Musik, wenn man will. Man wohnt zu Hause und hat seine eigene Schallplatten- oder CD- Sammlung. Und wenn man nicht mehr will, stellt man es einfach ab. Wenn man im Ausgehlokal keine Musik haben will, geht man halt ins Anzengruber. Und wenn einen der Nachbar mit Musik belaestigt, kann man die Polizei rufen; etwas, das ich frueher in Wien immer belaechelt habe. Ich glaube, nach dieser Reise sehe ich das anders! Und wenn man im Urlaub etwas hoeren muss, was man nicht will, z.B. Julio Iglesias, ist es ja nach 2 bis 3 Wochen vorbei. Aber wenn man eineinhalb Jahre lang ununterbrochen und ueberall gezwungen wird, etwas anzuhoeren, was man nicht will: Im Zug, auf dem Schiff, im Bus, im Taxi, im Hotel im Restaurant, am Tag und in der Nacht, vor und in den Geschaeften, im Lift, in der Bar, auf der Strasse, sogar im Nationalpark (Vietnam!), vom Fernseher, von der Stereoanlage, vom Handy; staendig und ueberall, dann ist das wie Folter, wie eine Krankheit. Ich spasse nicht: Es war mein groesstes Problem auf dieser Reise. Und es sind ja nicht die Intelligenten, die einen mit Musik terrorisieren, es sind ja die musikalischen Idioten und die hoeren Scheisse. Die hoeren Computermusik, beziehungsweise: die hoeren ja gar nicht zu, die hoeren es ja gar nicht mehr. Aber ich hoere es! Ich besitze die Faehigkeit nicht nichtzuhoeren! Und vor allem nicht schlechte Musik nichtzuhoeren! Und das ist das Hauptproblem: dass es schlechte Musik ist, die ich hoeren muss, dass sie nicht von mir ausgewaehlt wurde und wuerde. Ohrstoepsel helfen uebrigens gar nichts, denn sie machen die Musik nur leiser, aber nicht besser! Man hoert es trotz der Ohrstoepsel noch.

In Kuba ist auch ueberall Musik, aber es ist gute Musik, von Menschen gespielt und nicht von Computern! Und das ist wie eine Erloesung! Ich bin so erleichtert, so geruehrt von der Schoenheit der Musik hier, dass ich oft nahe den Traenen bin. Ich weiss nicht, ob man das versteht, wenn man es nicht selber erlebt hat.

Es macht mir hier in Kuba immer eine diebische Freude Geld ins Koerbchen zu legen: Musiker sollen verdienen, sie haben ein Leben lang geuebt, sie sollen ueberproportional verdienen; nicht nur die Banker mit ihren Boni und Abfindungen fuer ihre katastrophale Bilanz, nicht nur die Anwaelte fuer einen Abschluss eines Formvertrags fuer einen Firmenmerger, der ohne sie genauso schlecht funktioniert haette. Nein, Musiker sollen verdienen, fuer richtige Intonation, guten Groove oder ein gelungenes Trompetensolo! Gutes Geld! Ueberproportionales Geld! Und da das so ist in Kuba, hat der Musiker hier ein gutes Image. Das hat natuerlich auch mit der allgemeinen Basisarmut der Kubaner zu tun. (Gott erhalte Fidel den Kubanern!)

Wenn ein kubanischer Musiker gut ist und Glueck hat, kann er auch mal ins Ausland kommen und am Jazzfestival in Kopenhagen oder Luzern spielen, eine Kopenhagerin oder Luzernerin heiraten und dort bleiben und am Kopenhagener- oder Luzerner Groove ungluecklich werden. Hunderttausend Moeglichkeiten haben Musiker durch ihre Musik. Und wenn einer ganz, ganz gut ist, kann er wie Los Van Van oder Irakere das ganze Jahr durch die Welt touren und selbst fuer auswaertige Verhaeltnisse gutes Geld verdienen, natuerlich nicht so gutes wie der Banker oder Firmenmerger- Anwalt, aber welcher Kubaner wird schon Anwalt? Also: Noch eine CD! Her damit! Und noch ein CUC ins Koerbchen! Auf dass es eine Alternative gibt zur Firmenmerger-Anwalts-Welt!


Santeria

Als wir in Havanna ankamen, ueberlegte ich mir, wie wir es anstellen koennten an gute Events und Locations zu kommen; nicht die Touristenbars, wo angeblich schon Hemingway gesoffen hat. Erstens, weil ich schon als Teenager gelangweilt war vom alten Mann und dem Meer, und von dem, dem die Stunde schlug, und zweitens, weil diese Bars voll von franzoesischen, deutschen und slowenischen Greisengruppen sind, die sich begeistert die 1128 ste Version von Guantanamera, Chan Chan, Besame Mucho und The Girl from Ipanema anhoeren. Dass das nicht kubanisch ist, merken die ja eh nicht.

Ueberall wird die Musik von Buena Vista Social Club gespielt, als ob Kuba erst mit diesem Film zu existieren angefangen haette. Fuer Reisegruppen ist es oft das Einzige, was sie ueber Kuba wissen. Sie trinken ihren Mojito fuer den doppelten Preis in den Hemingway-Bars. Es gibt davon mindestens zwei, die sich den Ruf streitig machen die einzige und originale Hemingway-Bar zu sein: Das Floridita und die Bodeguita del Medio. Und die Musiker sind nicht bloed und wissen: Reisegruppe und "Al Cavallo vamos pa' l monte..." gibt noch mehr CUC ins Koerbchen. Und wenn die Reisegruppen kommen, gibts mehr Geld im Tourismus (Kuba verzeichnete im letzten Jahr eine 20 prozentige Zunahme im Tourismus, Krise hin oder her). Schon werden ganze Stadtteile von Havana Vieja totrenoviert, touristengerecht. Lieber Prince Charles: Buena Vista Social Club hat Havanna mehr zerstoert, als die Architekten London!

Aber diese musikalische Fadesse war es ja nicht, was wir suchten und so rief ich meinen Bruder an, um ihn um Rat zu fragen, da er einen Freund hat, der schon 20 Jahre vor Buena Vista Social Club der Musik wegen nach Havanna kam und hier jahrelang eine Wohnung hatte.

Auch ueberlegte ich mir, die Adresse von Toni Muelhofer, grossartiger Percussionist und Lehrer am Konservatorium Wien, zu googeln. Toni lebt halbjaehrlich in Kuba und hat eine wundervolle Salsa-CD mit dem Titel "Sabor no tiene color" mit kubanischen Musikern herausgebracht. Ich habe mit ihm ein paar Percussions-Tracks fuer die Didier-CD aufgenommen, seinerzeit.

Waehrend ich also auf der Suche nach dem Hintereingang zum musikalischen Leben Havannas war, sprach uns ein grosser, eleganter, schwarzer Kubaner an und es stellte sich heraus, dass er eben jener Typ war, den wir vor Jahren schon oefters im Wiener Havana-Club gesehen hatten; der beste aller Taenzer Wiens, immer perfekt gestylt mit eleganter Kleidung und Hut, war er sowas wie der Vortaenzer fuer alle angehenden Salsa-Enthusiasten Wiens, damit die sehen konnten, was sie selbst in ihrem Leben nie schaffen wuerden. Er heisst mit buergerlichem Namen Leonardo Pedroso (mit Kuenstlernamen: Sarabanda) ist mehrfacher Judo-Landesmeister Kubas und Senioren- Judoweltmeister. Er ist ausserdem der Repraesentant fuer kubanische Musikgruppen in Oesterreich und hat oft kubanische Bands nach Europa vermittelt. Glueck muss man haben: Er kennt die Szene hier wie kaum ein anderer. Er kennt ueberhaubt jeden, was es oft langwierig macht mit ihm durch Havanna zu gehen, weil er alle 10 Meter angesprochen wird und natuerlich kurz auf einen Schwatz stehenbleibt: Alles Brueder, Schwestern, Kusinen, Onkel und Tanten, - sehr afrikanisch!

Wir sind praktisch jeden Abend mit ihm ausgegangen. Da er halbjaehrlich in Wien wohnt, sind wir sowas wie ein Stueck Heimat fuer ihn.

Einmal nahm er uns mit in sein Heimatdorf, nach Guines, 40 km von Havanna entfernt, ein absolut schwarzes Dorf, Zentrum der Santeria, der Religion der afrikanischen Sklaven. Er stammt aus aermlichsten Verhaeltnissen, das sind wirklich eine Art Slums dort, obwohl sein Vater der Oberpriester der Santeria-Gemeinschaft dort ist. Wir durften den Schrein im Hinterhaus besuchen, mit uralten Statuen und Federn, die vom vielen Opferblut der Huehner ganz schwarz waren. Viele Leute reden hier noch Yoruba, die Sprache ihrer Sklaven-Vorfahren aus Nigeria.

Die Spanier haben eben etwas nicht gemacht, was die Englaender in Nordamerika konsquent machten. Sie haben nicht die Familien und Dorfgemeinschaften getrennt, so dass sich die Sprache, die Musik, Religion und Kultur zum Teil noch erhalten haben. Den Yemanja- Kult der Yoruba Nigerias gibt es uebrigens fast ident auch im Nordosten Brasiliens, vor allem in Bahia.

Der Vater war ein freundlicher, stiller, wuerdevoller Alter, der waehrend unseres Besuches ununterbrochen ein Fahrradpedal reparierte. Sarabandas Bruder Luis hat ein Percussions-Projekt, eine Art Schule fuer die schwarzen Strassenkinder von Guines. Er wohnt im ehemaligen Haus von Tataguines, einem der besten Percussionisten der Welt, der dieses Projekt vor ein paar Jahren, noch vor seinem Tod, zusammen mit ihm gegruendet hatte.

Am Haus gegenueber erinnert eine kleine Gedenktafel daran, dass hier Arsenio Rodriguez, einer der besten Bandleader und Komponisten der Welt geboren wurde.

Soviel Talent in so aermlichen Verhaeltnissen in den Slums von Guines bei Havanna! Ich war schon wieder geruehrt!


Die Zukunft

Wie wird es weitergehen mit Kuba?

Der kubanische Kommunismus wird (natuerlich) scheitern. Er ist ja jetzt schon gescheitert: Die meisten Kubaner wollen eine Veraenderung und hassen das System, wenn sie ehrlich sind.

Was wird sich aendern? Zuallererst wird es ein eklatantes Ansteigen der Kriminalitaet geben. Im Moment ist Havanna sehr sicher. Man kann um drei Uhr nachts durch die dunkelsten Gaesschen nach Hause gehen, obwohl man kaum einen Polizisten sieht. Wenn, dann sind es fast immer Polizistinnen und die sieht man auch nur tagsueber. Ganz anders in Mexico: Dort stehen nicht nur an jedem Haeuserblock, sondern buchstaeblich an jeder Ecke des Haeuserblocks ab sieben Uhr abends ganze Gruppen von Polizisten, ganze Heerschaaren. Ich habe noch nie in meinem Leben soviele Polizisten gesehen wie jetzt in Mexico, nicht mal in Kairo kurz nach dem Sadat-Attentat, und das will was heissen. Trotzdem hat Mexiko eine katastrophale Kriminalitaetsstatistik, wie wir wissen: 50000 Tote in 4 Jahren, und Kuba nicht. Warum? Weil die Kriminalitaet nichts mit der Anzahl der Polizisten zu tun hat. (Sonst muesste Oesterreich mit fast doppelt sovielen Polizisten wie die Schweiz eine bessere Kriminalitaetsstatistik haben, hat es aber nicht.) Nein, es hat eben nichts mit der Menge der Polizisten zu tun (sonst waere Mexiko das sicherste Land der Welt) und auch nichts mit der Haerte der Strafen (siehe USA), nichts mit dem Inseldasein (Jamaika ist eines der gefaehrlichsten Laender der Welt), nicht mal mit dem Vorhandensein von Aufstiegschancen zu tun, (denn die gibt es fuer die jungen Maenner im jetzigen Kuba sicher nicht.) Es hat eben, meiner Ansicht nach, nur mit einem zu tun: Mit sozialer Gerechtigkeit! Und hier sind, noch, alle arm. Aber das wird sich aendern und dann wird die Kriminalitaet exponentiell ansteigen. Es wird sein wie in Moskau nach der Wende und wir werden uns sehnsuechtig an den heutigen Zustand erinnern und sagen: "Kannst dich erinnern? 2012 sind wir noch nachts um drei am Malecon spazieren gegangen ohne uns zu fuerchten!"

Aber die Kubaner wollen die Veraenderung. Und nur so aussenstehende, egoistische Ignoranten, wie ich, wuenschen sich ein Ueberleben dieser Alternative zur Facebook- und Anwaeltewelt. Wer bin ich, dass ich mir das Ueberleben von gespielter Musik und gelebten zwischenmenschlichen Beziehungen wuenschen darf? Ich muss ja nicht hier leben! Armut schaut nur von aussen malerisch aus!

Das Centro von Havanna sieht zum Teil aus wie Beirut nach dem Buergerkrieg: Alles broeselt, alles voller Ruinen. Fuer die Kinder sind Ruinen toll, hab ich mir von denen erzaehlen lassen, die Wien nach dem Krieg als Kinder erlebt haben. Aber wie toll findet man es, wenn es in der Apotheke nur zehn verschiedene Medikamente gibt, darunter kein Antibiotikum, kein Insulin und kein blutdrucksenkendes Mittel? Wie romantisch ist es, wenn es zwei Waehrungen nebeneinander gibt: Den kubanischen Peso (CUP) fuer die Armen und den Peso convertible (CUC) fuer die Reichen und Privilegierten und fuer die Touristen? Viele Dinge kann man nur gegen CUC kaufen, an vielen Orten z.B. das Bier oder die Mahlzeiten im Restaurant. Der CUC ist 25 mal teurer als der CUP und kann selbst von Kubanern nur mit Verlust eingewechselt werden. Wie toll wuerde ich das finden, wenn ich meine eigene Waehrung nur gegen Kommission einwechseln koennte? Gegen die Moneda Nacional, den CUP, gibt es nur billige Softdrinks, fuer frisch gepressten Fruchtsaft braucht man CUC, fuer Milch ebenso, geschweige denn fuer gutes Essen und guten Alkohol. Das ist alles fuer die reichen Touristen, Kubaner kriegen 2. Klasse. Sogar die Busse und die Busbahnhoefe sind getrennt. Die modernen Luxus- Ueberlandbusse mit Sicherheitsstandards sind in CUC zu zahlen. Fuer die Einheimischen gibt es die viel billigeren und klapprigen (und gefaehrlicheren) Einheimischenbusse gegen Moneda nacional.

Die Folge ist ein kleiner taeglicher Kampf ums Ueberleben, kleine Tricksereien. Man wird dauernd angehauen, um irgendetwas zu kaufen. Wenn einen ein Kubaner anspricht, will er am Ende immer Geld: fuer ein Foto, fuer eine Auskunft, fuer einen Schmaeh, fuer ein Lied, fuer eine Euromuenze. Man hat ein nettes Gespraech mit einem Beamten und am Schluss fragt er ganz leise, ob man ihm einen CUC fuer Essen geben kann. Ligia wurde bereits im Gate(!) im Flughafen von Mexico City von einer geschminkten Kubanerin mit Beauty Case- Handtaeschchen um Geld fuer Essen angehaut. Kubaner betteln immer. Es scheint dies eine Art Volkssport zu sein. Sie sind aber nicht boes, wenn man ablehnt. "Versuchen wird man es ja wohl duerfen!" Eine uebliche Sache ist es, Touristen kennenzulernen, sich dann anzuhaengen und zu erwarten, dass man auf einen Eintritt in ein Nachtlokal eingeladen wird oder zumindest auf die Drinks. Das hat noch nicht unbedingt mit Prostitution zu tun, denn es gibt auch Paare die darauf spezialisiert Paare anzusprechen. Sextourismus gibt es in Kuba uebrigens mindestens so oft umgekehrt: Ich habe ganze Heerschaaren von schiachen, fetten und alten Europaeerinnen gesehen, die sich die feschen, schwarzen Taenzer in den Clubs aufreissen. Ich glaube da gehts dann weniger um konkretes Geld, als um Eintritt, Drinks und eine Ausreisemoeglichkeit, sagen wir mal, um einen weiblichen Sponsor. Prostitution hat fliessende Uebergaenge!

Kapitalismus (Thailand) :"Mister, Hashish? Bum-bum?" (gefluestert, wenn die Ligia drei Schitte vor mir geht)

Kommunismus (Kuba): "Mister, Cohiba? Bum-bum?" (unter den selben Vorausstzungen).

Das grosse Los ist es, einem dummen Touristen gefaelschte Cohibas als echte anzudrehen.

Der taegliche Kleinkampf und die kleinen Egoismen erinnern mich sehr an den ehemaligen Ostblock; es sind nicht nur die langen Fingernaegel.

Der Sozialismus funktionierte nicht, weil die Menschen im Kleinen kleine egoistische Wuerstchen sind. Wie wir im Moment sehen, funktioniert der Kapitalismus nicht, weil die Menschen im Grossen grosse egoistische Wuerstchen sind.

Wie wird man Millionaer?

Als Richard Branson vor in paar Jahren gefragt wurde , wie man Millionaer wuerde, antwortete er: "Das ist ganz einfach, man wird erst Milliardaer und dann gruendet man eine Fluglinie."

In Kuba geht es leichter und schneller und hier ist mein Vorschlag:

Raul Castro hat in den letzten Jahren Kapitalismus im Kleinen zugelassen. Kubaner koennen ihre Wohnung an Touristen vermieten, das heisst dann "Casa Particular". Meistens kostet eine Nacht in Havanna 30 CUC (= 25 Euro). Unsere Wirtin hat drei Zimmer zu 30 CUC, macht 90 CUC am Tag. Sagen wir, sie ist an 20 Tagen ausgebucht, (Wie wir dort waren, war sie allerdings staendig ausgebucht) macht 1800 CUC im Monat. Abgaben und Steuern und tote Monate abgerechnet, ach ja, und nicht zu vergessen den einen CUC fuer die Putzfrau, schaetze ich, dass immer noch 1000 CUC im Monat uebrigbleiben. Eine Hundertquadratmeter-Wohnung in Havana Vieja, im touristischen Zentrum der Stadt, kostet ca. 15000 bis 20000 CUC. Nach ein paar Jahren hat man dann mehrere Wohnungen beisammen. Und wenn sich Kuba oeffnen wird, und das wird es, und dann die amerikanischen Touristen einfallen und hier, eine knappe Flugstunde von Miami entfernt, Immobilien kaufen werden, hat die Wohnung schlagartig nicht mehr 20000 Euro wert, sondern das 15 bis 20 -fache. Laut meiner Rechnung wird man so durch Wiederinvestition in 40 bis 50 Monaten zum Euro- Millionaer. Das ist schneller, als es Richard Branson in der Gegenrichtung geschafft hat!

Einen Haken hat die Geschichte allerdings: Auslaender koennen, entgegen allen anderslautenden Geruechten, nach wie vor legal keine Immobilien in Kuba erwerben. Aber sie koennen ja eine Kubanerin heiraten und das Gegenteil von dem machen, was hier alle denken und wollen, naemlich in Kuba bleiben. Oder anders ausgedrueckt: Jeder Kubaner, der zum jetzigen Zeitpunkt davon traeumt, Kuba zu verlassen und ins kraenkelnde und xenophobe Europa auszuwandern, macht das Duemmste, was er tun kann. Denn eines ist gewiss: Die Wende kommt bestimmt. Vielleicht erst, wenn die Castros gestorben sind, aber Fidel ist jetzt 86 und Raul 81, vielleicht schon, wenn Obama wiedergewaehlt ist und er die Waehlerstimmen von Florida nicht mehr benoetigt, vielleicht erst ein paar Jahre spaeter. Es ist halt wie bei allen Prognosen: Sie stimmen meistens, nur der Zeitpunkt ist meistens falsch!

Bei jeder Systemaenderung gibt es Sieger und Verlierer!

Schon gibt es Chinesen, die hier mal vorsondieren und sich leere Ladenlokale und Ruinen und Geschaeftsmoeglichkeiten anschauen. Sie haben nicht nur spanisch gelernt, sondern auch einen Salsa-Tanzkurs gemacht und haben schon kubanische Freunde: Man weiss ja nie!

Schon wird die Altstadt Stueck fuer Stueck privatisiert und renoviert. Ganze Teile sind schon totrenoviert: Huebsche Kopfsteinpflaster-Gaesschen mit Souveniershops, Cafeterias mit Illy-Kaffee und Musikgruppen, die Besame Mucho oder Guantanamera spielen; alles nur fuer die Touristen! Ohne broeselnde Ruinen, ohne Hundescheisse, ohne Kubaner, die dort ihre tropfende Waesche aufhaengen und ohne spielende Kinder; ohne Leben! Kubaner nur noch als Kellner und als "Zigarrenrauchender Alter", das Buena Vista Social Club-Fotomotiv fuer Gruppenreisende,- ein CUC bitte!

Es ist dort so fad wie in Salzburg oder in Prag nach der Wende!

Gottseidank ist es aber nur ein kleiner Teil der Altstadt, in anderen und vor allem in Havana-Centro broeseln die Ruinen noch, man tritt noch in Hundescheisse, die Kinder spielen noch in der Strasse und in der Hundescheisse, die Menschen schreien noch von Stockwerk zu Stockwerk und von der Strasse hinauf und von oben herunter, weil es, genausowenig wie Handys, auch keine Gegensprechanlagen gibt. Es haengt auch noch die Waesche vor der Hausfassade und tropft einem auf den Kopf und die Musikgruppen spielen noch was anderes als Buena Vista Social Club. Dort kennen wir Lokale, wo Kubaner noch fuer Kubaner Musik machen. Dort kennt man uns nach drei Wochen in Havanna schon auf der Strasse. Wir gehoeren dazu und werden gegruesst. Schon bleiben wir auch alle 10 Meter auf einen kurzen Schwatz stehen und kennen die Eigenheiten und Gechichten der Leute. Man fuehlt sich wie auf dem Dorf und wir gehoeren zur Dorfbevoelkerung. So schnell funktioniert die Integration, glaube ich, in keinem Ort der Welt. Die Herzlichkeit ist entwaffnend. Und es passierten uns Dinge, wie ein Besaeufnis mit Einheimischen mit billigem einheimischen Fusel aus der Plastikflasche (Oh, mein Schaedel!) bis fuenf Uhr frueh, auf einem Maeuerchen sitzend, und uebers politische System von Kuba diskutierend.

Dort hatte der alte, achtzigjaehrige Klomann, dem ich kein Geld geben konnte, weil ich kein Kleingeld hatte, noch den Charme zu sagen: "Macht nichts-ist nicht wichtig!", und dann erzaehlte er mir ueber seine Kindheit in Camaguey und ich hoerte ihm zu und wir redeten und redeten und dann sagte ich ihm, dass er das naechste mal ganz bestimmt was kriege und er laechelte mit einer Wuerde, die kein Politiker oder Anwalt bei uns besitzt.

Freunde, besucht Havanna jetzt, es eilt! Es ist einmalig und es wird nicht wiederkommen, wenn es einmal weg ist. Genausowenig wie das London der 60er Jahre!

Besucht Havanna vor allem so lange ihr noch koennt! Solange ihr es noch schafft, jeden Abend auszugehen, solange ihr noch jeden Abend fuenf Daiquiris, zwei Biere, zwei Mojitos und eventuell eine Cohiba vertragt! Solange ihr noch genuegend Saft in den Beinen fuer die kubanische Musik und fuers Tanzen habt!

Besucht Havanna solange ihr noch jung genug dafuer seid!

Besucht Havanna jetzt! Sofort! Das ist ein Befehl!


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