Meine Zeit auf Tobago
von 17. Juli bis 23. August 2009   Teil 3

Ich lerne Domino

In Sufrieer, St. Lucia, schon hatten mich Männer eingeladen, mit ihnen zu spielen. Nachdem ich nicht sicher war, nach welchen Regeln die spielten und es zudem um Geld ging, hatte ich mich dort noch aufs Zuschauen beschränkt.


Die Bar steht an der „Waterline“. Manchmal gibt es hier auch Roti, diese großen indischen Teigtaschen, gefüllt mit Gemüsebrei und wahlweise Hühnchen, Fisch, Lamm, Schwein, Rind, Ziege. Beim Rastamann – so nennen alle den großgewachsenen Wirten mit dem Rastafilz an Bart und Kopfhaar – komme ich mit Suren ins Gespräch. Woher, wohin, und ob ich Domino spiele? Noch nicht. Aber bald, komme ich seiner Einladung entgegen. Ich merke schnell, die Regeln sind so wie bei uns daheim. Einfacher noch wie Uno, bloß nicht ganz so nur vom Zufall vorgegeben. Die Steine, mit denen hier gespielt wird, haben auf jeder der beiden Steinhälften Null bis sechs Augen.


Suren bedauert, dass hier niemand Domino spiele. Darin habe er kaum Partner hier. Spricht’s und schon steht ein Mädchen an unserem Tisch – ja Domino, das spiele sie auch gerne. Das nachstehende Bild zeigt uns schon im fortgeschrittenen Stadium: Kreuz-Domino.


Beim Domino ist man einerseits dem Zufall ausgeliefert. Andererseits kann man durch aufmerksames Verfolgen des Spieles und der anderen Spieler Wahrscheinlichkeiten abschätzen. Je besser man das vermag, umso häufiger wird man ein Spiel gewinnen können. „Wie im Leben“, denke ich laut. Suren widerspricht mir entschieden: „Das Leben ist kein Spiel!“ Ich erfahre von ihm einiges über seine Sicht des Lebens. Das Leben, so habe ich ihn verstanden, ist nicht vergleichbar mit einem Spiel, obwohl das viele Menschen meinen. Ich erfahre, dass Suren Hindu ist und einiges über seine Sicht des Lebens.

Mir war freilich bald klar, dass ich da sehr vereinfacht hatte. Sind die Regeln für das Leben doch nicht in zehn Sätzen zu erklären, wie das Domino-Spiel. Und das Leben ist mehr, als nur Regeln einhalten, Wahrscheinlichkeiten abschätzen und über jemand anderen gewinnen.

 

Der Fischer Joe zeigt mir Charlotteville vom Wasser aus

Ich gewinne ein Paar aus Dänemark mit mir die Fahrt mit Joe zu machen. Joe dreht eine Runde in der Bucht von Charlotteville. Dann dreht er ab nach Osten. Da sind ein paar Inseln vorgelagert mit erstaunlicher Form.

 

 


Banges Warten

Ich schwimme, stehe, sitze, liege und schaue. Ich bin in einer völlig einsamen Sandbucht. Sie ist von Land aus nicht zugänglich. Mächtige Brecher rollen herein. Die Bucht ist von Felsinseln eingegrenzt. Daran donnert das Wasser. Fontänen spritzen hoch. Das sind Naturgewalten! Das liebe ich.

„In der Natur durchströmt den Menschen trotz seiner Sorgen natürliches Wohlbehagen“, habe ich kürzlich wo, als jemandens Wahlspruch gefunden. Er ist bei Ralph Waldo Emerson nachzulesen. Wer war Ralph Waldo Emerson? http://de.wikipedia.org/wiki/Ralph_Waldo_Emerson

Ich erkunde Grenzen. Ich lege mich in jenen Bereich, wo mich die kleinen Wellen gerade noch nicht erreichen und von den großen überspült werde. Nach mehrmaligem Überspülen hinterlässt das im Sand eine Spur: Dort, wo ich fest aufliege, wird kein Sand weggeschwemmt, unmittelbar daneben entstehen tiefer ausgewaschene Rinnen und Flächen.

Ein Vogel stelzt wie ich im Grenzwasser. Es wird wohl eine Stelze sein. Pelikane stürzen vom Himmel ins Wasser und tauchen kurz darauf wieder auf. 4156 Ob mit oder ohne Fisch, das weiß man nicht, denn wenn mit Fisch, dann hat er ihn in der Schnabeltasche verpackt. Möwen gibt es hier auch, aber nur sehr wenige. Ein Fischer wirft draußen ein paar Mal ein kleines Netz aus und zieht dann wieder ab. Weit drüben in der Piratenbucht hat eine Yacht die Segel gesetzt.

Ich bin mit einem geliehenen Paddelboot hierhergekommen. Eine Stunde bin ich schon da. Nun beginne ich ans Weiterpaddeln zu denken. Das Landen war einigermaßen stürmisch verlaufen, jedenfalls für mich, den Donau-, Traun-, Alm- und Moldau-Paddler: Ein Brecher von hinten hat mich auf den Sand geschoben. Ehe ich ausgestiegen kann, ist schon der nächste übers Boot gekommen, hat es schräg gestellt und mit Wasser gefüllt.

Wie werde ich da wohl wieder raus kommen? Welle um Welle rollt auf den Sand. Probieren geht über studieren. Ich nehme das Boot am Bug, ziehe es ins Wasser. Die erste Welle hebt den Bug. Die nächste ist größer. Sie füllt das Boot mit Wasser. Noch eine Welle, und das Boot liegt am Strand. Also, Boot seitlich stellen, kippen, Wasser rinnt raus. Noch einmal an den Start. Nach dem fünften Fehlstart lege ich eine Pause ein. Mein linkes Schienbein blutet.

Ich erinnere mich an die Frage des Bootsverleihers, ob ich das Einsteigen könne. Na klar, bin doch in Alpenflüssen gefahren. Jetzt glaube ich zu wissen, was er gemeint hat: Das Einsteigen vom Wasser aus ins Boot! Bei meinem dicken Faltboot bin ich da immer über Heck nach vorne geritten. Gedacht, getan. Ich ziehe das Boot so weit hinaus, wo die Wellen sich noch nicht brechen, reite auf am Heck und vor zum Einstiegsloch. Inzwischen steht das Boot quer. Die nächste Welle wirft mich ab, das Boot wird quer an Land gespült. Ich eile nach, um es zu halten. Wo ist das Paddel? Ah da draußen. Schon habe ich es an Land gefischt. Nach drei weiteren Versuchen verspüre ich körperliche Erschöpfung.

Ich habe keine Eile. Ich habe das Boot für 6 Stunden geliehen. Ich bin erst eine gute Stunde da. Regen zieht auf. Ich frohlocke, denn Regen macht die Wellen kleiner, steht in meinem Segelhandbuch. Hat der Regen das nicht gelesen? Die Wellen werden mächtiger. Woran zuvor ich mich nicht satt sehen konnte, das freut mich jetzt nur wenig. Und das Wasser steigt. Stimmt, es ist Neumond. Da ist zu Mittag Hochwasser. Um drei Uhr hält das Hochwasser immer noch an, Ja, da gibt es doch die Springverspätung, fällt mir ein. Wahrscheinlich ist Neumond auch schon vor ein paar Tagen gewesen. Ob Hochwasser auch Ursache für die immer mächtiger werdenden Wellen sein kann? Davon habe ich noch nie was gehört. Aber ausschauen tut’s schon danach.

 

Banges Warten – und irgendwann endet jedes Warten

Der nächste Regenguss geht nieder. Der Bach hinter mir wird zum Wasserfall. Ich kann ihm zuschauen, wie er in seinem Gerinne im Sandstrand mäandriert. Er nagt an der 30 cm hohen Steilküste aus Strandsand. Stück um Stück bricht aus der Böschung. Mit dem Anstieg der Flut und der Größe der Wellen spült auch immer öfter das Meer herein. Die Welle läuft nach hinten, fast bis ins Wasserfallbecken.

Ich genieße das Zuschauen und denke zwischendurch immer wieder mal darüber nach, wie ich da aus der Bucht raus kommen werde. Nur die Ruhe, sag ich mir. Es rennt überhaupt nichts davon. Kein überhasteter Aufbruch. Es ist erst 3. Um 4 soll ich das Boot zurückgeben, um halb 7 beginnt die Nacht. Hab ich kürzlich eine Nacht in der Hollywoodschaukel verbracht, ausgesperrt auf der Terrasse von Wills Gästehaus - warum nicht auch hier eine Nacht verbringen, in dieser wunderschönen Bucht, eingesperrt von den wunderbaren Wellen? Das ist die eine Möglichkeit.

Option 2: Die 2 km nach Charlotteville könnte ich allenfalls auch schwimmen. Ich habe meine Schwimmflossen dabei, auch eine Schwimmweste und die Schnorchelmaske. Das trau ich mir zu. Ich hab ja Zeit. Boot bliebe hier - genau das gefällt mir nicht.

Option 3: Es gelingt mir, in einer Phase schwächerer Brandung doch rauszupaddeln.

Gewaltig donnern die Wogen an die Felsen, die die Bucht begrenzen. Wenn ich da hinein gerate – nein, das ist keine Option. So habe ich mir das Ende meiner Reise nicht vorgestellt. Dass ich nun weiche Knie bekomme, liegt nicht nur an der körperlichen Anstrengung der vergeblichen Versuche, hier weg zu kommen. Jetzt versuche ich mich mit Hilfe des angeschwollenen Baches mich ins Meer zu schieben zu lassen. Nur missglückte Versuche!

Zu den weichen Knien kommt nun auch noch Herzklopfen. Das verbessert meine Situation subjektiv nicht. Also hinsetzen, ausatmen, den Boden spüren, Hand auf Sonnengeflecht, Brustbein und Herz. Nein, da wird nichts besser davon. Ich stehe auf, mache ein paar Schritte hin und her. Den Standpunkt verändern. Das hilft ein wenig. Ich versuche auf einem Bein zu stehen, das andere zu schwenken. Es geht. Ich scheine noch in meiner Mitte zu sein.

Mir fällt die Dagmar ein. Ihr Vater hat eine Olympia-Medaille erpaddelt. Sie war auch gut im Kajak. Jetzt würde ich sie gerne fragen, was man da tut. Oder den Schulfreund Herwig. Der hat die Finnische Seenplatte bepaddelt. Und dann gibt es noch den Herbert, den einstmals wilden Wildwasserfahrer aus meiner Wohngemeinde. Der kann sogar die Eskimorolle. Doch keine, keiner ist da. Ich muss es alleine herausfinden, wie ich da raus komme aus dieser Bucht.

Ich schaue auf das Wasser. Es ist ein wenig gefallen. Die Brecher sind noch recht mächtig. Doch dann gibt es immer mehr diese Phasen mit kleineren Wellen. Ich übe mich im Abschätzen, wann so eine günstige Phase eintrifft. An den Unebenheiten an der Wasseroberfläche, die ich da draußen sehe, ist es schwer auszumachen, wie hoch die Welle am Strand sein wird. Aber wenn mir das gelingt, dann komme ich raus.

Also, Volkmar, sage ich zu mir: Es darf weitere missglückte Versuche geben, du hast noch genug Zeit, du kannst wirklich noch lange schauen. Wenn ich sehe, dass da draußen der Felsen stark überspült wird, dann wird bald ein großer Brecher da sein. Wenn es da draußen ruhig ist und ich die größeren Wellen abwarte, die noch unterwegs sind, dann nichts wie raus – so müsste es doch gehen! Ich schau mir das noch ein paar Mal an. Vor meinem geistigen Auge sehe ich mich raus fahren. Wäre sich ausgegangen. Nächster Versuch: Nein, das wäre schief gegangen.

Ich glaub, jetzt hab ich es. Durchatmen, Boot ins Wasser ziehen, einsteigen, rauspaddeln – juchhu, es hat geklappt. Ich paddle friedlich dahin, wie wenn nichts gewesen wäre. Es ist wirklich sonderbar. Wie wenn ich aus einem schwierigen Traum erwachte – jetzt ist alles vorbei. Am freien Wasser sind die Wellen fast nicht zu bemerken. An der Steilküste sprüht die Gischt hoch.

Am Sandstrand vor Charlotteville sieht das so aus:

 


 

Ich verlasse Tobago

Im LKW von Suren verlasse ich am Sonntag, dem 23. September Charlotteville auf Tobago. Suren macht immer mal Halt, um ein Bier zu erwerben - geschäftliche Kontakte pflegen, nennt er es.

Bei einem Italiener trifft er einen Freund, der für uns alle ein Abendessen spendiert. Um 22 Uhr sind wir in Scarborough an der Nacht-Fähre. Sie ist so ein riesiger Pott mit Platz für viele Lkw’s auf mehreren Etagen. Ich bekomme "stand by" eine Karte, nächtige in der gemeinsamen Kabine mit Suren. Früh am Morgen legt die Fähre an in Port of Spain auf Trinidad.

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