Segeln im Ionischen Meer

April/Mai 2006

Chronologisch sind viele der mess- und zählbaren Fakten im – hier nicht gezeigten – Logbuch zu finden. Dennoch habe ich in meinem Törnbericht die zeitliche Reihenfolge zur Grundstruktur gemacht. Auf zeitliche, lückenlose Angaben über Segel setzen, Ankermanöver, Schiffsbegegnungen, Luftdruck, Bedeckungsgrad und dergleichen (das ist nach dem Törn hauptsächlich für den Meilennachweis und im Schadensfall für die Versicherung und das Gericht relevant) habe ich grundsätzlich verzichtet, ebenso auf ständig wiederkehrende, erschöpfende Schilderungen der zu uns genommenen Speisen und deren Preiswürdigkeit.

Ich habe hier versucht, eher ein wenig was von meinen Gefühlen, Gedanken und Betrachtungen mitzuteilen, die bei mir da waren, während meine Sinne in der Außenwelt unserer Reise auf Aufnahme eingestellt gewesen sind. Es ist gewissermaßen mein Tagebuch, aufbereitet für die Lektüre durch andere, die das interessieren könnte.

Mit dem, was ich von den Menschen, die dabei waren oder die mir begegnet sind, Intimes im weiteren Sinne anvertraut bekommen habe, hoffe ich respektvoll umgegangen zu sein, beziehungsweise es bei mir behalten zu haben. Andererseits, so denke ich, Gefühle und Empfindungen sollten, gerade deshalb, weil man sie so ernst nimmt, aus echtem Respekt vor ihnen, in der Kommunikation nicht gänzlich ausgeblendet sein. Ein solcherart beschnittener Bericht würde nur einen kleinen Teil des Erlebten thematisieren.

Das Erleben – so man nicht ganz alleine unterwegs ist – bezieht die Mitfahrer mit ein. Deren und die eigene Befindlichkeit und die Interaktionen halte ich ausschlaggebend für die Qualität einer jeden Unternehmung. Grund genug, auch von solchen „Fakten“ eines Törns zu berichten.
  

 

Im Anfang war die Sonnenfinsternis

Es hätte mir gut gefallen, gemütlich am Wasser treibend, eingetaucht in Land und Kultur Kleinasiens die Bedeckung der Sonne durch den Mond im März dieses Jahres zu erleben.

Der totalen Sonnenfinsternis mit dem Düsenjet nachzujagen, sie zur Sensation her­abzuwürdigen und mich zum Spanner dieser astronomischen Kopulation zu machen – das wollte mir nicht schmecken. Meinen ursprünglichen Plan, am 29. März so zufällig vor der Türkei zu segeln, wenn der Mondschatten lautlos daherbraust, habe ich auf­gegeben, mangels MitseglerInnen, mangels Charterboote in der Nähe, in Sorge vor dem angeblich kräftigen Wind aus Südost um diese Jahreszeit und in Hinblick auf die begrenzte Wahrscheinlichkeit, zum gewünschten Zeitpunkt, klaren Himmel vorzufin­den.

 

Und dann das Internet

Da finde ich im Mittelmeer-Skipper-Forum einen neuen User vor. Seine Segelyacht liege in Preveza, er befahre zwei mal jährlich fünf Wochen lang das Ionische Meer, das nächste Mal im April/Mai. Und er nähme auch schon mal jemanden mit.

Wir sind rasch handelseins geworden, zumal ich Andreas’ Angebot „Hand für Koje“ fast annehmen musste. In dieser Phase muss ich an die Hannelore denken. Sie wäre die einzige ernst zu nehmende und überdies enthusiastische Mitseglerin für die Son­nenfinsternis gewesen. Ich maile sie an. Ihr Enthusiasmus erglüht sofort aufs Neue. Dann scheint es sich bei ihr doch nicht auszugehen. Die Kinder, der Firmung, der Beruf. Darüber spreche ich mit Anna, der Vermieterin meiner Wohnung und Mitseg­lerin bei Törns vergangener Jahre. Das weckt konstruktive Gedanken bei ihr.

 

Da waren’s plötzlich Drei

Zu guter Letzt fahren wir alle drei. Wir besteigen (27.4.) den Nachtzug nach Venedig. Von hier (28.4.) geht’s weiter auf der Fähre nach Patras.

Noch nie vorher bin ich in Venedig gewesen! Die Fähre zieht einen wunderbaren weiten Bogen um die Stadt am Wasser. Anna, Hannelore und der Stadtplan von Anek-Line verbinden das zu Erblickende mit Namen, Geschichte und Gschichtln aus dem Leben der beiden Freundinnen.

Das Festland entschwindet. Die Deckpassage hat begonnen. Zeit zum Erforschen des riesigen Dampfers. Zeit für ein Bier. Zeit zum Kartenspiel. Zeit zum Schauen. Zeit zum Garnichtstun.

Die Nacht an Deck ist kühl, windig, abgasig, vibrierend, hell beleuchtet und laut. Ich freu mich auf Schlafkomfort am Segelboot. Nach 33 Stunden (29.4.) haben wir es aufgespürt – gleich am ersten Steg in der Marina in Patras steht dem Andreas seine MOMO.

 

Wir sind alle an Bord der MOMO

Händeschütteln, erstes einander Kennenlernen, Sachen an Bord bringen, Smalltalk, Schlafordnung besprechen und schlafen in Ruhe. Kein Vibrieren, kein Schweröl­geruch, kein Decklicht, keine Ventilatoren. Klatsch-klatsch am Schiffsrumpf, wenn vor der Marina draußen eine Fähre dreht, aus- oder einläuft.

Wir finden mit freundlicher Unterstützung Einheimischer einen der wenigen Mini-Markets, die sonntags (30.4.) geöffnet haben. Wie ich vollbepackt zum Schiff zurückkehre, bin ich ziemlich fertig mit Kreislauf und so. Ich beginne – angespürs mei­ner abwesenden Lebenskräfte - zu zweifeln an der Theorie, dass das langsame Anreisen es der Seele ermöglicht, gleichzeitig mit dem Körper angekommen zu sein. War ich dennoch zu schnell gewesen? Ich hätte wohl das Fahrrad nehmen sollen.

 

Die Fahrt beginnt

Die Fahrt nach Mesolongion, bei Regen und starkem Wind aus Ost, wird anstren­gend. Unausgeschlafen, Kreislauf am Boden und dann noch dieses rauf und runter! Endlich sind die ersten Tonnen in Sicht, die die lange Einfahrt in die Stadt kennzeich­nen. Das Boot wird ruhiger. Ich beginne die Fahrt zu genießen, sehe einladende Badestrände, freundliche Häuschen, kleine Fischerboote, die Straße am Damm vom Festland hinaus. Im nordwestlich gelegenen Hafenbecken machen wir fest. Wasser und Strom gibt’s genug an Bord. Wir sind ziemlich alleine.

Landgang ins Dorf. Woher mögen wohl die vielen Menschen kommen, die da in dut­zenden wohladaptierten Lokalen auf hunderten von Stühlen erwartet werden? Sind wir die einzigen Fremden hier? Freundlich erstaunte Blicke aus den Augen eines jun­gen Paares. Die beiden entpuppen sich bald als die Wirtsleute. Ja freilich, wir können hier Platz nehmen. Unser Hunger ist klein. „Menü?“ fragt die Wirtin. „Ne, Starters“ muss Andreas wohl geantwortet haben. Wahrscheinlich hat er dazu mitteleuropäisch mit dem Kopf gewackelt, denn nach den Starters und noch mal Starters überrascht uns der Wirt mit einem Teller verschiedenen köstlichen Fleisches, gebraten und auf Tomaten, Gurken, Oliven und Pommes serviert. Mit dem Essen kommen Appetit und vertiefende Erkenntnisse des Gebrauches von Gesten und Wörtern in Griechenland. Es war köstlich!

 

Port-Police, Fischer und Fischlein

Der Wind am nächsten Morgen (1.5.) bringt uns nach Kyllini, am Nordwestkap des Peloponneses. Noch ehe wir festgemacht haben, gibt uns die Port-Police die ge­strenge Anweisung, am nächsten Morgen im Office zu erscheinen. Man hat den Eindruck, die Griechen haben den Eindruck, Segelboote seien größtes Gefahrenpotential für den Staat.

Die Fischer neben uns sehen das offenbar nicht so. Wir gesellen uns zu den Schau­lustigen des Dorfes, die ihre ganze Aufmerksamkeit dem Entladen des mittelkleinen Kutters schenken. Zwei Kraftlackeln in mächtigen Gummihosen hieven Kiste um Kiste aus dem Schiffsbauch. Große Fische, kleine Fische, mittlere Fische, helle Fische, silberne Fische, dunkle Fische, Fische Fische Fische Fische. Ein dicker Mann mit ernster Miene sagt an, ein dünner schreibt auf. Es hat was Feierliches. Mir geht’s ähnlich wie im Rinderstall, wenn eine Kuh kalbt, oder im Presshaus, wenn der erste Traubensaft zu fließen beginnt. Schließlich kommen die Kisten in den Klein-LKW, der da an der Pier wartet. Was werden die wohl mit der halben Kiste Schalentiere machen? Da schüttet sie der eine Kraftlackel in einen Plastiksack und drückt diesen der Hannelore in die Hand. Nach eingehender Beratung mit einem hier heimisch gewordenem „Europäer aus Deutschland“ (nach dessen eigener Definition) revanchieren wir uns mit einer Flasche Bier. Da kriegt die Anna auch noch einen Sack in die Hand gedrückt mit vielen kleinen Fischlein, so in Sardellengröße. Die Crew strahlt über das unverhoffte Jagdglück. Des deutsch-europäischen Mannes griechisch-europäische Frau weiß, wie man die Fischlein zur kulinarischen Kostbarkeit veredelt.

Da sitzt dann am nächsten Morgen (2.5.) die Crew vereint in der Plicht, schlitzt Fischlein um Fischlein die Bäuchlein auf, entfernt Inhalt, Gerippe, Schwanzerl und Kopferl. Dann legen wir sie weisungsgemäß 6-8 Stunden ins Salz, dann auswaschen, dann 6-8 Stunden in Essig, dann auswaschen und schließlich mit Olivenöl tränken – fertig. Andreas ist begeistert von seiner Crew, die - das komme äußerst selten vor – erbeutete Fische auch zubereitet. Das wird unsere Vor-, Zu- und Zwischenspeise in den nächsten Tagen. Bloß Anna wird sich ab einem der nächsten Tage des Fischlein­genusses enthalten. Aber das ist eine andere Geschichte.

 

Blaue Grotten, weißer Strand, senkrechte Felswände und ein Wrack

Der Wind will es, dass wir die nächste Nacht in der kleinen Fischerbuch Ay Nikolaos im Nordosten von Zakynthos festmachen. Von hier starten wir am nächsten Morgen (3.5.) mit einem der Ausflugsboote zu den blauen Grotten. Es sind das Kavernen im steilen Felsen, einige Bootslängen tief. Blickt man vom Inneren der Höhle aufs Was­ser, so erlebt man ein unwirkliches, tiefes Blau, hervorgerufen vom schräg einfallen­den Sonnenlicht. In manchen Höhlen dringt das blaue Licht auch über Nebenhöhlen unterhalb der Wasseroberfläche herein.

Mit unserer MOMO fahren wir ums Nordkap von Zakynthos zur Wreck Bay. Das ist wirklich sehr eindrucksvoll: türkisblaues Wasser, schneeweißer Kies, weiße senk­rechte Felswände bis hoch hinauf. Ein Zugang von Land scheint nicht möglich. Und dazu das unablässige Branden der Wellen auf den flachen Strand, unablässig, seit Jahrtausenden, völlig unbeeindruckt davon, ob da ein Menschlein zuschaut oder nicht. Bloß das Stahlschiff liegt erst seit ein paar Jahrzehnten am Strand. Es hat noch einige Jahrzehnte vor sich, bis es spurlos in den Kreisläufen der Natur zurückgekehrt sein wird. Noch können Andreas und ich, die wir beide zu Starkstromtechnikern aus­gebildet sind, den Stand der Elektro-Antriebstechnik zu Beginn des vorigen Jahrhunderts bewundern. Da gab’s noch keine Scheiß-Elektronik, bei der man nichts sieht, wenn’s was hat, sind wir uns einig.

Nächtlicher Ausbruch aus Ay Nikolaos

Dimitri und seine Familie bewirten uns am Abend. Er lobt unsere langen, losegehal­tenen Festmacher, denn die Hafenwelle ist keine Geringe. Um elf Uhr sei Wind mit Stärke acht zu erwarten. Die der Bucht vorgelagerte Insel vermag die Wellen nicht so richtig zu brechen. Als Dimitri dann sein eigenes Fischerboot von unserer Seite weg an die südlichere Mole verholt, ahnt Andreas Böses. Bald nach Mitternacht (4.5.) beendet Andreas sein Bangen, ob der Anker hält oder nicht hält. Kettengerassel reißt die Crew aus nicht tiefem Schlaf. Hannelore und ich klettern ins Cockpit. Bei Windstärken von 6 bis 7 aus Ost jagen wir mit 7 Knoten auf der Backbordbacke hart am Wind nach Norden. Der Wind ist kalt, der Himmel sternenklar. Sie sind alle da, die Gestirne des Sommers: Löwe, Jungfrau, Skorpion, Schwan, Adler, Leier, Krone, Bootes. Dazu der helle Jupiter. Während wir frierend uns bemühen, die Schönheiten dieser unverhofften Nachtfahrt zu genießen, kämpft unten in der Steuerbordkoje die Anna – wie wir später erfahren - auf zwei Fronten. Das eine ist der Kampf gegen das Herausfallen aus der Koje. Das zweite gegen das Hochkommen der Fischlein aus ihrem Bauch.

Im Süden von Kefallonia angelangt finden wir Schutz in einer windabgewandten Bucht. Nach vier Stunden heftiger Nachtfahrt ein gutes Gefühl, wieder zur Ruhe zu kommen. Die Venus steht schon hoch am Himmel. Auch Anna steigt herauf in die Plicht. Sie leidet sichtlich und hat unser liebevolles Mitgefühl, zumal auch Hannelore und mir mulmig ist.

 

Zu Gast bei Dionysos, Wunden lecken am Strand

Langsam wird es hell im Osten, später gelblich, ein wenig rötlich, der Morgenstern verblasst, dann ein Funkeln am Horizont und in Minutenschnelle steht die volle Sonnenscheibe überm Wasser. Der neue Tag ist da! Anker hoch. See und Wind sind zahmer geworden. Anna gibt lauthals auch den Kampf gegen die Fischlein auf.

Noch ein paar Meilen bis Poros. Wir finden eine Lücke im südlichen inneren Hafen und hier auch einen Wasserhahn! Der Kapitän, vor den Radspieler in seinem Törn­führer warnt, scheint nicht in Dienst zu sein. Alle Fähren zeigen Wohlverhalten. Der erste Landgang auf dieser Insel führt uns auf Dionysos’ malerische Terrasse, gleich über dem Hafen. Die Betonung bei Dionysos liegt übrigens auf dem ersten o, wie uns die Wirtin auf Anfrage vorspricht. Bitte herzhaft Nachsprechen! „Dionysos“. Klingt doch gut – oder?

Ausgedehnte Ruhe gönnen wir uns später am Stadtstrand von Poros. Das Baden hier ist immer noch eine kühle Herausforderung. Welle um Welle brandet auf den Kies­strand. Ich schaue und höre dem stundenlang zu.

 

Sonne jeden Tag, das Wasser noch kühl

Die Morgensonne des nächsten Tages (5.5.) sieht uns an Zakynthos’ Ostküste hoch segeln. Andreas teilt den beiden Frauen gewesene Abenteuer an Bord und Schwänke aus seinem Leben mit. Am Vorschiff, akustisch abgekoppelt, gebe ich mich der Sonne, meinen Gedanken, meinem Spüren hin.

Abends sind wir in Phiskarda. Wir entdecken die Vielfalt der Pflanzenwelt am Weg zu den Leuchttürmen und eine wunderschöne Blumenpracht im verlassenen Garten des alten Lichthauses. Die Sonne schickt uns letzte Strahlen. Tiefrot wird der Him­mel, nachdem sie hinter unserer Insel verschwunden ist. Das verheißt uns viel Sonne auch am nächsten Tag.

Letztes Abendessen mit Hannelore. Sie wird uns morgen (6.5.) mit der Fähre verlas­sen, per Autostopp – wie in ganz jungen Jahren. Sie wird nach Igoumenitsa kommen, dort die Fähre nach Ancona und schließlich den Zug nach Hause zu Familie und Beruf nehmen. An Bord lassen wird sie uns ihren Frohmut, ihre Leichtigkeit und Daseinsfreude.

Wir begleiten die Hannelore, bis sie die Fähre betritt. Ausgiebiges Winken bis sie und die Fähre unseren Augen entschwunden ist. Als wir die Leinen in Phiskarda los machen setzt bald der Nachmittagswind ein. So richtig Lady-Brise mit 5 Knoten Fahrt und kaum Seegang! Dabei strahlende Sonne – was vom Feinsten! Damit verlassen auch wir die gastliche Insel Kefallonia.

 

Die Port-Police-Phobie und Betrachtungen zu deren Hintergründe

In Vathi auf Ithaka betreten wir ein weiteres, freundliches Eiland. Ein großzügig angelegter Ortsplatz empfängt uns. Gleich neben uns das Haus der Port-Police. Wir flanieren durch das Städtchen, kaufen Proviant ein und genießen die Kunst griechischer Küche und Ouzo-Hersteller.

Andreas’ Port-Police-Phobie lässt uns im Morgengrauen (7.5.) etwas weiter draußen in der Bucht vor Anker gehen. Ich beginne diese Phobie allmählich zu verstehen. Es ist nicht allein die grundsätzliche Ablehnung von Autorität, mit der viele von uns Männern kämpfen. An Kontakt mit so barscher Polizei kann ich mich weder auf den Balearen, noch in der Adria, schon gar nicht in der Türkei, erinnern. Eigentlich ein krasser Gegensatz, wenn ich das mit den Kroaten vergleiche. Da bin ich in der Regel eher mürrischen Zivil-Menschen begegnet. Hier in Hellas hingegen erfahre ich von den Menschen ohne Uniform nur Freundlichkeiten. Ein dutzend solcher Begegnungen erlebe ich hier, bei meinem ersten mehrwöchigen Griechenland-Aufenthalt.

 


Freundliche Griechen – zwei Begegnungen

Während alles noch schläft an Bord, tauche ich ein ins morgendliche Leben des kleinen Hafenstädtchens. Bald begebe ich mich in ein Cafe. Ein älterer Grieche hat einem LKW-Fahrer noch letzte Anweisungen gegeben und strebt nun auch der Terrasse zu, auf der ich sitze. Er stolpert über die Stufe und findet im Sturz so halbwegs Halt an meiner Sessellehne. Er tauscht ein paar Scherze aus mit Wirt und anderen Gästen und rappelt sich dann hoch. Und dann legt er mir seine Hand auf meine Schulter, sagt was dazu und lässt mich seine Verbundenheit mit mir, der ich ihm einen kurzen Moment Halt geboten hatte, spüren.

Ich feiere Sonnenuntergang an der Mole. Dann kehre ich zurück ins Restaurant und setz mich allein an einen Tisch mit Blick auf den Abendhimmel. Gefüllte Pfefferoni, ein Bier. Ich nehme den letzten Schluck, schon stellt mir der Wirt eine neue Flasche her. Fragender Blick meinerseits. „Von dem Herrn da drüben“, sagt er mir. Ich lächle hinüber, schenke mir bedächtig ein, proste dem Herrn da drü­ben zu. Der prostet zurück. Und, was jetzt? Ich denke nach, wie ich jetzt korrekt weiter mache. Ist der Alte etwa schwul? Wie sind in so einem Fall die Sitten in Griechenland? Während ich so denke und sinniere wird mein Glas immer leerer. Ich wage freundlich hinüber zu blicken zu dem Herrn da drüben. Der rückt den Stuhl neben sich einladend zurecht. Gottseidank – ich stehe auf, nehme mein Glas und setze mich beherzt neben ihn. Er erzählt mir seine Geschichte: 1935 geboren, sechs Jahre Volksschule, Fischer gewesen, sieben Jahre in Deutschland gearbeitet, spricht deutsch, englisch, italienisch, kroatisch, türkisch, fünf Kinder „alles gutes Material“ und fügt hinzu: „Bis jetzt“. Zwei Kilometer von hier ist sein Bauernhof, 500 Olivenbäume. Jetzt ist er Rentner, 300 Euro im Monat. Griechen­land ist schön, man lebt gut hier. Wann ich morgen auslaufe, will er wissen. Er wird mir mit dem Spiegel zublinken. Und so geschieht es auch. Am nächsten Morgen blinkt und funkelt es  vom Land her. Wir winken mit bunten Tüchern zurück – meinem Freund in Griechenland.

 

Blau, blau, blau

Wir wollen nordwärts. Der Wind ist mit uns, das heißt schön von der Seite. Ich bin offenbar jetzt schon sehr entspannt, denn ich krame mein Aquarellzeugs hervor und beginne die Welt um mich zu malen. In der Ferne die hellblau erscheinenden Berge des Festlandes, darüber weiße Cumuli, links davor der grüne Zipfel einer Insel. Blauer Himmel, tiefblaues Wasser. Fast alles ist blau.

Eigenartig, jene Farbe, die in der Natur auf Greifbarem, an der Oberfläche Befindlichem dauerhaft nicht vorkommt, ist hier am Meer nahezu die einzige Farbe – blaue Blumen sind nicht dauerhaft, in die blauen Augen greift man nicht, der Lapis Lazuli ist naturgemäß unter der Erde und nicht an deren Oberfläche. Ich verbrauche fast nur Blau aus meinem Malkasten! Doch diese blauen Dinge hier sind eigentlich gar nicht wirklich, ich meine von sich aus, blau. Sie scheinen nur blau: die Berge aus der Ferne, des Himmels Blau ist ein Teilspektrum des Sonnenlichtes und dessen Spiegelung ist das Blau des Wassers. Das Indigo-Blau meiner Aquarell-Palette hat einen nicht unkomplizierten chemischen Prozess hinter sich, ehe es greifbar geworden ist. Eine eigenartige, unfassbare Farbe, das Blau.

 

Aus Liebe zu der Bucht

Auf Atokos weiß Andreas eine sehr schöne Bucht. Diesmal keine hochaufragenden Felsen, sondern etwas flacher, viel Grünes und darin ein Häuschen. Ein Schild bittet, den Strand sauber zu halten. Doch der sieht traurig aus – Plastikstuhl-Ruinen, Plastiksäcke, Plastikkanister, Plastikkisten, Plastikverschlüsse, Plastikhalme, Plastikflaschen, Plastikbälle, Plastik jeden Meter.

Ich nehm mir einen Plastiksack und beginne einzusammeln. Anna gesellt sich dazu. Ihr Behälter ist irgendeine Plastikkiste. Irgendwann – der Strand ist keineswegs völlig gesäubert – ist es genug. Wir genießen Meeresrauschen, Sonne, sanften Wind, blau­en Himmel, Cumulus und die eigene Existenz darin. Von einer, auch in der Bucht vor Anker liegenden, englischen Segelyacht löst sich das Schlaucherl. Das dazugehörige Ehepaar hat Plastiksäcke mitgenommen und setzt die Säuberung fort. Wir nicken uns freundlich zu: „It’s your idea“, sagt sie. „Thank’s“ danke ich ihr, „ist’s for the beach.“ Ich bin ja nicht blöd und räum das weg, was andere irgendwo fallen haben lassen. Aber der Beach tut es gut, sie gewinnt, wenn sie sauberer gemacht wird. Sie freut sich richtig. Das genügt. Schließlich bin ich Rentner, ich habe doch Zeit. Und dann – ich gestehe es mir ein - freue ich mich über meine enorme Vorbildwirkung. Wenn das jede Yacht einmal in der Saison machte, ohne zu fragen, wer das verursacht hat. Das wäre doch was! Hat nicht jeder von uns mal Mist gemacht, den er nicht alleine ausgetragen hart? Einer trage aus des anderen Mist (Galater 6,2., frei übersetzt).

Das Wasser hat eine ungewöhnliche Klarheit hier. Und die kleinen runden Steine am Grund! Ein Viertel ist weiß, ein Viertel ist blaugrau, ein Viertel ist dunkelgrau und ein Viertel rot. Ich packe mir eine gute Handvoll ein davon und denke an meine Enkel. Die werden mich sicher fragen, ob ich was mitgebracht habe.

 

Wenn Spaghetti fliegen

Sind es Fallböen oder ist es schlicht Gradientenwind außerhalb des Windschattens der hohen Insel? Nichts Böses ahnend gable ich, im Salon stehend die restlichen Spaghetti ein. Ein erster Stoß, das gleiche ich noch aus. Der nächste – und der Teller ist leer. Ich liege rücklings auf der Bank. Bü­cher fliegen durch den Salon. Nudeln und Sugo finden wir später am Boden, an der Möblierung und an meinem Hemd. Wir rollen das Vorsegel weg. Das Groß allein ist groß genug. Hui, pfeift das nordwärts! Kostos und Kalamos fliegen steuerbords vorbei. Das da drüben an Backbord muss Arkoudi sein und da ist der langgestreckte Arm von Meganisi. Wir umsegeln Meganisi gegen den Uhrzeigersinn. In Spartochorion ist dem Andreas seine Pizzeria. Das heißt für uns anlegen in der Bucht Spilia. Wir erklimmen den eigentlichen Ort etwa 100 Meter oberhalb der Bucht. Der wunderbare Ausblick hinunter auf die Bucht und hinaus aufs Meer lässt uns still werden.

Auf Meganisi haben wir die Nacht und einen halben Tag (8.5.)verbracht. Da sind wir am Vormittag völlig getrennt ausmarschiert. War auch mal schön. In der Bucht-Taverne treffen wir uns wieder.

 

Die unglaubliche Leichtigkeit des Seins und wie eine Bordbibliothek Zuwachs bekommt

Sanfte Winde und kaum bewegtes Meer bewegen uns nach Levkas. In der Tranquil-Bay, gegenüber von Nidri, gehen wir vor Anker. Das von weitem erahn­bare Ambiente von Nidri lockt mich nicht. Ich bleib allein auf der MOMO, bewache den Anker, gebe mich dem Hin- und Herschwoien des eigenen und der anderen Schiffe hin und dem Spiel der drehenden Winde, schreibe Tagebuch und SMSe. Schließlich nehme ich mir das einzige Buch vor, das ich mitgenommen habe: Kundera „Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins“. Vor drei Jahren hat es mich sehr angespro­chen. Ich hatte es ungern zur Seite gelegt, weil Pensionierung und damit verbundene Übergabe und Liquidierung meiner Firma mich damals so beanspruchten. Nun wollte ich es wieder angehen. Doch es mag mir gar nicht mehr so gefallen. Habe ich inzwi­schen mich so gewandelt, hin zur Leichtigkeit, in meinem kurzen Pensionistendasein? Lebe ich die Leichtigkeit etwa schon so stark, dass mir das Lesen darüber nichts mehr zu geben vermag? Wie auch immer – ich verleibe das Buch still und heimlich der Bordbibliothek der MOMO ein.

 

Gut Ding braucht Weil

Es geht weiter nordwärts. Wir kommen zur Durchfahrt durch den Levkas-Kanal. Die große Marina in der Stadt Levkas lassen wir links liegen. Vor der „Fähre“ über den Levkas-Kanal heißt es warten. Dieses Schiff steht nämlich ziemlich fix und quer im Kanal. Einmal stündlich hebt sie die eine Klappe zum Land hin hoch, oder sie dreht den ganzen Rumpf um 90 Grad. Da ist dann die Straße gesperrt und der Kanal frei.

In Preveza besucht Andreas dann seinen Arbeitskollegen Wolfgang. Der arbeitet schon seit Jahren während des Urlaubs in der dortigen (korrekt: gegenüberliegenden) Trocken-Marina an seinem Motorsegler und wird das noch Jahre tun, ehe er dann doch mal zu Wasser gehen werden wird. Ein interessante Persönlichkeit, der Wolfgang. Und sein Motorsegler wird einst gewiss ein Schiff mit Charakter sein. Beim Abendessen im Fischrestaurant lernen wir ihn ein wenig näher kennen.

 

Auf nach Paxos!

Obwohl wir noch eine ganze Woche vor uns haben - das ist die "lange" Zeit, die ich als Charter-Segler zu Törnbeginn für gewöhnlich vor mir habe - beginnt Andreas schon vom Ende zu reden und den Rest der Zeit zu planen. Das Segelrevier nördlich von Preveza und Levkas ist keineswegs so vielfältig, wie jenes um Levkas, Meganisi und den vielen andern kleinen Inseln da, einschließlich Festland. Doch auch hier sollte jeder Tag seine besondere Qualität bekommen, genau wie all die Tage vorher. Es wird nun alles noch viel langsamer werden. Doch nicht gleich am nächsten Tag!

Nach dem Auslaufen aus Preveza (9.5.) empfängt uns Wind der Stärke 5 - 7 von Backbord, also etwa SW. Auf nach Paxos! Es geht dahin auf der Steuerbord-Backe mit 6-7 Knoten Fahrt. Wind aus Backbord hat den Vorteil, dass die Anna aus ihrer Koje nicht herausfallen kann. Die Wellen scheinen uns bis zu anderthalb Meter hoch zu sein. Ganz schön! Das habe ich seit den Balearen vor 14 Jahren nicht mehr gehabt.

Es war nicht ganz so anstrengend wie in der Vorwoche von Zakynthos nach Kefallonia, doch nach viereinhalb Stunden legen wir gerne einen kleinen Halt ein, in der ersten Bucht auf Paxos. Anna und ich wandern zur Steilküste im Westen und genießen lange das Branden der in der Adria aufgebauten mächtigen Wellen. Von weitem hat sich das angehört wie Gewitterdonner. Am Abend geht es dann noch bis Gaios, dem Hauptort der Insel.

 

Paxos kommt auf meine Liste der Top Ten

Am nächsten Tag (10.5.) sind wir ein paar Meilen nördlicher, in Lakka. Hier mieten Anna und ich uns einen Motorroller und erkunden die kleine Insel von Land aus. Es gibt überaus freundliche Begegnungen mit Inselbewohnern und Gastronomen. Sollte ich mal einen Urlaub ohne Boot buchen wollen – Paxos käme in die engere Wahl. Dieser Blick von der Sunsetbar hinunter auf die Eremiti-Bucht! Ich denke, da kannst du sitzen am Abend und weinen, weil das so schön ist. Mit Anna habe ich dann Longos aufgesucht, das kleine Dorf am Meer mit dem Schlot der aufgelassenen Fabrik. Kein Hafen für Segelboote. Da sitzen wir in der Taverna und lassen uns einmal mehr griechischen Salat servieren, mit diesem Feta, den du bei uns nicht kriegst. Geht’s uns gut! Oder schmeckt das alles nur da unten so gut, weil alles Drumherum so gut tut? Ich will diese Theorie daheim dann mit dem hier gekauften Ouzo überprüfen.

 

Die unglaubliche Leichtigkeit des Seins in der Flottille und auf Sunset-Terrassen

Am nächsten Tag (11.5.) verlassen wir die Inselwelt endgültig und queren hinüber nach Sivota am Festland, dem nördlichsten Punkt unseres Törns. Auf der anderen Seite die Ostküste von Korfu. Zwischen den Sivota vorgelagerten Inseln sind die Ankerplätze belegt. Un­geachtet der und unbeachtet von der Port-Police gleich vor uns machen wir r.-k. vor Buganker fest.

Wir sind da mitten in ein lustiges Schauspiel geraten. Beim Schiff neben uns will der Anker nicht halten. Es ist das zuerst gelandete Boot einer Flottille. Sieben weitere sollen noch kommen. Es ist alles immer sehr aufregend – für die beiden am Flottillenboot und für die benachbarten, bereits festgemachten Eigner-Boote. Die Nächsten vergessen darauf, den Buganker zu werfen. Also noch einmale von vorne. Wir haben alle Fender auf der einen Seite. „Sorry, I’m a beginner“, bekundet der ge­stresste Skipper. “You are a very good beginner“, ermutige ich ihn, denn er verfehlt doch recht brav unseren Bug.

Andreas schaut inaktiv zu. Ich habe den Verdacht, es amüsiert ihn die Aussicht dar­auf, dass so ein kleiner Plastikbecher seine Alu-MOMO zu entern versuchte. Eines der Flottillen-Boote touchiert so eben mit der Badeplattform kräftig die Betonpier. Die Pier war stärker. Es ist immer was los. Der auflandige kräftige Wind macht das römisch-katholische Anlegen mit Heck an der Pier wirklich nicht gerade leicht. Der Flottillen-Chef merkt das auch. Die nächsten kommen mit Bug voran herein. Von da an wird’s leichter. Wir leisten Bei­stand mit Bootshaken, Leinen und wegdrückenden Händen, so gut es geht.

Ich schäme mich ein wenig für hämische und besserwissende hörbare Bemerkungen anderer Segler, habe aber selbst Mühe, mir solches zu verkneifen. Der Ausbildungs­stand der einzelnen Bootsführer scheint in der Tat nicht recht hoch zu sein. Doch die Engländer nehmen es leicht. Was ist denn aber auch schon geschehen? Ich denke, der abwertende Aufschrei „Flottillen in Sicht“ ist überzogen. Insgeheim sonnt sich wohl so mancher Spötter darin, es doch endlich mal viel besser zu können. Ich kann mir gut vorstellen, dass die Flottillen-Fahrer einen Riesenspaß haben dabei. In Gefahr bringen sie sich in erster Linie selber – wie jeder andere Anfänger auch. Jene aber haben wenigstens einen mit Kompetenz und Funk organisiert, der immer irgendwie beistehen kann.

Allmählich kehrt Ruhe ein. Hunderte Augenpaare sehen die Sonne versinken hinter Korfu. Der Himmel spielt in den Farben orange, rot, lila, dann ganz wenig gelb und schließlich blau, blauschwarz. Ich nehme Platz auf der Sunset-Terrasse in einem der tausend bequemen Lehnsesseln und beschließe den Tag mit einem und einem zweiten Ouzo.

 

Viel Zeit, viel Entspannen, viel Schlafen

Ja, das war Sivota. Wir laufen aus (12.5.) , ehe die Bord-Police erwacht und warten dann weiter draußen sonnenbadend, schwimmend, lesend, dösend und schlunzend auf den Nachmittagswind. Für die nächsten Tage verbleiben uns nur kurze Distanzen, das heißt viel Zeit, viel Entspannung, viel Schlaf. Auch Andreas ist stiller geworden. Die Gespräche über die Technik an Bord und gewesene Törns, über das Übel in der Welt, das Arge an den Zuständen rundherum, das G’wirxt mit den Frauen und vielerlei teils rigorose Verbesserungsvorschläge hierzu (auf uns hört e keiner) – es verliert vorübergehend an Priorität. Die Tage sind voll des Sonnenscheins. Um 10 Uhr endet der Vormittags­wind.

Der Nachmittagswind setzt ein, wann er will: einmal gar nicht (es gibt an diesem Tag, obwohl klarer Himmel, keine Cumuluswolken über Festland oder Inseln), manchmal um 14 Uhr oder um 16 Uhr. Heute kommt er spät und schwach. Ungern starten wir den Motor und tuckern in die Valton-Bucht nahe Parga.

 

Vollmond

Andreas empfiehlt Abendspaziergang nach Parga hinüber. „Schon wieder Steine und Häuser schauen?“ wehre ich ab. Dann breche ich doch auf mit Anna gemeinsam. Wir kommen bis zu der malerischen Festung. Der voll gewordene Mond blinzelt durch das Laub mächtiger Bäume. Blick hinunter auf recht geschmackvoll hergerichtete, Gäste erwartende Gastbetriebe. Hinunter gehe ich nicht zu den Häusern und Steinen. Doch bin ich froh, diesen sehr schönen Platz von oben gesehen zu haben.

Die Valton-Bucht ist eigentlich nicht recht einladend: Hohe Steinmole, viel altes Lei­nenzeugs im Wasser, Schiffe, die voll von Unrat sind, es stinkt nach Aas. Wir flüchten am Morgen (13.5.) von der Mole weg, hin an den Badestrand, gewissermaßen vom Regen in die Traufe. Denn mit der Badebucht daneben, ein richtiger Sandstrand, stimmt auch irgendwas nicht: trübes Wasser, schwimmende Schauminseln, leicht stinkig. Niemand hat Lust, darin zu schwimmen. Später hören wir, dass der Abwasserkanal der Stadt offenbar ein wenig zu kurz geraten ist.

Schließlich setzen wir Segel, lichten den Anker und gleiten ohne Motor ab. Anfangs mit einem Knoten. „Es kann der beste Segler nicht segeln, wenn kein Wind ist“, re­signiert Andreas und legt sich schlafen. Das ist meine Zeit! Ich zupfe an Groß und Genua herum, freue mich über ein, zwei Knoten Fahrt. Ab vier Knoten gehört das Ruder wieder ganz dem Andreas und dem Autopiloten.

 

Sandstrand und Strandgut

Baden in der sehr schönen Bucht Phanari, nahe dem Ort Amouda. Am Sandstrand werfe ich zwei kleine Holzstücke ins Wasser. Dann schau ich zu was die machen. Die Hölzer werden angespült von der einen Woge und wieder weggespült von der über­nächsten. Das eine Hölzl ist etwas mehr eckig, das andere mehr rundlich. Das Eckigere hat bessere Chancen liegen zu bleiben als das Runde. Mal kommt eine ganz große Welle und spült das eckige Hölzl ganz weit hinauf. Das hat gewonnen, denke ich und leg mich zufrieden hin. Eine halbe Stunde später sehe ich beide Hölzl in der Ferne - wieder schwimmen. Hat es doch nicht geschafft, das Eckige. Aber irgendwann schafft es es auch. Wo käme sonst das Strandgut her? Und wie entsteht eigentlich so ein Sandstrand? Diese Frage führt mich aus der Gegenwart in Zukunft und Vergangenheit und ich schlafe ein darüber.

Die Bucht ist gefürchtet zum Bleiben über Nacht. Da geht es angeblich ganz schön zu bei Westwind. Auch die Einfahrt in den Fluss Acheron ist gefürchtet. Wir nehmen von der Bucht her kommend einen sehr weiten Bogen, um die vom Meer her kom­mende Welle von hinten zu haben. Vor ein paar Wochen habe es den Chef des größten Hotels erwischt, wird uns später erzählt. Er sei bei schwerem Wetter vom Fluss in Bucht hinaus gefahren um ein paar Handgriffe an den Netzen zu machen. Bei der Rückfahrt aus der Bucht in den Fluss habe er die Kurve zu eng genommen. Die Welle hat ihn an die Stirn der Steinmole zwischen Bucht und Fluss geworfen. Das war tödlich für den Hotelier.

 

Gespenster in der Nacht

Nun, wir gehen im Süßwasser des Flusses Acharon etwa dreihundert Meter stromauf, längsseits an eine Holzpier. Zwei größere Schiffe mit deutscher Flagge haben da of­fenbar ihren Dauerparkplatz. Der eine mit dem Alu-Schiff zwangsläufig, denn er baut seinen Diesel aus. Lagerschaden. Wie ich da in die gähnende Tiefe des leeren Motorraumes schau! Wie da die losen Schlauch-Enden, das Kabelzeugs, die Schmier und der Dreck heraufdräuen! Heraußen der eingegangene Motorblock! Und das ganze Schiff, wie das ausschaut, so zuwendungsbedürftig! „Bin ich froh, dass ich kein Schiff zu eigen habe“, denke ich leise und bin überzeugt von der Qualität meines Daseins als Charter-Skipper. Man braucht einfach solche Beispiele. Das hilft mir, zu akzeptie­ren, dass ich die Kohle für ein eigenes Schiff nicht habe. Und dann müsste ich ja im­mer fahren, immer fahren, immer mit dem gleichen Schiff. Das ist ja schlimmer wie Monogamie. Und dann müsste ich die Leinen sehr schonen, immer schön am Ende alles festmachen, nicht auf Slip gehen, das Knallen der Segel würde mir durch Mark und Bein gehen und das Ladegerät und der Autopilot und die Winschen und die Bat­terien und die Kollektoren, der Windgenerator, die Schraube, die Stopfbüchse, die Keilriemen, die Lichtmaschine, der Primärkreislauf und sein Wasserstand, die Wasserfilter, die Ölfilter, der Kartenplotter und sein Update, womöglich noch Radar, oder die Epirb, die ich wegschmeißen muss, weil die das mit den Satelliten abstellen, die Leuchtraketen, die Logge, der Tiefenmesser, der Windmesser, die Küchenmesser, das Funkgerät, das Navtex, der Feuerlöscher, die Schwimmwesten, das Pumpklo, die Frischwasserpumpe, der Druckwächter, der Kühlschrank und sein Abfluss, die Bilgepumpe, der Diesel-, der Fäkalien- und der Frischwassertank – bloß nix durcheinan­derbringen, die Positionslichter, die Fender, die Klampen, die Fallen, die Klemmen, die undichten Schlauchbinder, das Schlauchboot, der Außenborder, die Rettungsinsel, der Anker, die Anker, die richtigen Anker, die Kette, die Ankerwinsch und die Bremse, das Antifouling und das Fouling, die Kabel, die Sicherungen, der Masseschluss, die Kriechströme, die Opferanode und die Elektroosmose, Haarrisse, Wantenbruch, Ruderbruch, Mastbruch, Schotbruch, Kielbruch, offene Seeventile, Erdbeben, Fähren, Diebe, Seeräuber, Port-Police, Benzinkanister, Propangas, Elmsfeuer, Klabautermann und Ratten, die das Schiff verlassen – schweißgebadet wache ich auf.
Gottlob nur ein Albtraum.

 

Alles wieder gut.

Der neue Tag (14.5.) verscheucht die nächtlichen Gespenster. Ich klettere durch die Bugskabinenluke an Deck, klopfe Arme und Beine ab mit leichten Faustschlägen, den Bauch, Brustkorb, Gesäß, Schultern, Nacken, Kopf und Rücken, soweit ich ihn erreichen kann. Do-In nennen das die Chinesen. Soll helfen in den Körper zu kommen. Dann das halbe Programm der Dehnungsübungen. Ich bin wieder ganz bei mir. In dieser Haltung nehme ich den Gaskocher in Betrieb. Er zündet gleich aufs zweite mal. Teewasser, Tisch decken, Brot aufschneiden, Butter und Käse aus dem Kühl­schrank holen, Marmelade, Honig, Zucker, Salz und Pfeffer, Salami, Speck, Schinken, Eier, Käse, Yoghurt, Milch, schwarzer Tee, Grüner Tee, Kräutertee, Streichkäse, Hartkäse, Stinkekäse, Topfen, Sahne, Getreidekaffe, Bohnenkaffee, Orangenjuice, Weintrauben, Melone, Tomaten, Äpfel, Bananen, Datteln, Cornflaces, Müsli und die Fischleins nicht zu vergessen. Ja, ich glaub, das reicht. Alles ist wieder gut.

Wir frühstücken im Cockpit. Bilder tauchen auf, aus meiner Jugend, wo ich mit nur sieben Sachen im Rucksack durch halb Europa getrampt bin und vom Frühstücken auf Terrassen geträumt habe.

Wir laufen aus bei schwachem Wind, keine Cumuli über dem Festland, klarer Him­mel. Wir haben nicht weit. In aller Langsamkeit legen wir abends in Ligia an. Ein winziger Fischerhafen, vom Meer geschützt durch eine hohe Steinwurf-Mole. Hier treffe ich den „Mann da drüben“, meinen Freund in Griechenland, der über ein Bier mit mir ins Gespräch gekommen ist. Morgen (16.5.) wird er uns mit dem Spiegel zublinken, wenn wir auslaufen zur letzten Etappe dieses Törns, nach Preveza. Hier in der Cleopatra-Marina steht dem Andreas seine MOMO am Land, wenn sie nicht am Wasser ist.


Und Abschied 

In Preveza gibt’s dann unser Abschluss-Abendessen. Abschied von Andreas, seiner MOMO und von Griechenland. Wir beschließen die gemeinsame Zeit in einer kleinen Gastwirtschaft bei Pfeffersteak, gefüllten Tomaten und Pfefferoni, Orangensaft, Bier und Ouzo.

Dann ab mit dem Taxi nach Igoumenitsa. Fähre nach Ancona, dann noch Zug und Liegewagen bis Linz. Die Dagmar, der ich mein Auto geliehen hatte, erwartet mich am Bahnhof damit. Dann frühstücken mit Freundin Brigitta. Heim, Wäsche waschen, bügeln, Wohnung putzen, Post aufarbeiten, mich rundum zurückmelden, nachsinnen, Enkelkinder betreuen . . . Aufbruch zu neuen ersegelbaren Ufern vorbereiten.

Dem Andreas sei herzlich gedankt für seine Gastfreundschaft auf seiner MOMO! Ich wünsch ihm, dass er neben den Einschränkungen am Boot durch die Crew aus Oberösterreich sich auch gerne an angenehme Zeiten der Gesellschaft mit uns erinnert.

 

Epilog, nach zwei Wochen daheim

Kies von der Insel Atokos habe ich in eine Glasschüssel geschüttet und unter Wasser gesetzt. Dahinter stehen die drei Aquarellbilder, die mir während der Fahrt entstanden sind. Das bringt mich immer wieder ganz schnell in den entspannten, wohltuenden Zustand der Zeit am Wasser.

Das Ionische Meer ist mir nun etwas vertraut geworden. Ich bin ja ein ausgesprochener Spätstarter, wenn ich mich mit den Menschen im MM-Skipper-Forum vergleiche. Die waren schon überall. Mir schwebt als Nächstes die Ägäis vor und dann mal Kreta. Sizilien, Malta, Sardinien und Korsika sind auch noch unbekannte weiße Flecken auf meinem Segelatlas. Türkei würde ich gerne wieder besuchen.

Die Reise mit einem Eigner hat mir Einblick gegeben in die "Welt des Eigners". Nicht dass ich Charterschiffe schlecht behandelte. Doch dieser überaus sorgsame Umgang mit Leinen-Enden, Segeltuch, Motorstunden usw. hat mir die Augen geöffnet für Dinge, die den Charter-Skipper nur wenig berühren. Als Eigner - so scheint es mir - spürst du was von Seele des Schiffes. Als Charter-Skipper hingegen genügt es mir, wenn ich spüre, wo das Schiff vorne, hinten und seitlich endet, wie es in Wind und Strom sich verhält, wie es beschleunigt und verlangsamt, wie ich es drehen kann, wie der Radeffekt zu kalkulieren ist und wie ich mit Trimm und Ruderdruck umgehen kann.

Es gibt viele Aspekte, die alle beitragen zur Motivation, Eigner zu sein.
Ein gewichtiger Aspekt, nicht nur bei Andreas, scheint mir diese Gewissheit, die Freiheit zu haben, jederzeit "wegfahren" zu können, und zwar ordentlich und un­abhängig davon, ob man es mal tut oder nicht. Einen anderen Typus von Eigner habe ich in jenem Kollegen kennen gelernt, den es freut, dass er seine Urlaube auf der Trockenmarina damit verbringt, seinen gebraucht erworbenen Motorsegler hingebungsvoll auszubauen und ganz nach seinen eigenen Vorstellungen zu adaptieren. Er genießt jetzt schon die Aussicht darauf, in ein paar Jahren mal fahren zu können in seine Lieblingsbuchten. Das sind Qualitäten des Seins, die sich dem Charter-Skipper nicht erschließen. Und die er auch nicht sucht.

„An den schönsten Orten der Welt das Schiff reparieren“, ist ein geflügeltes Wort in Langzeitsegler-Kreisen. Es ist bei mir hängen geblieben. Es hat einfach was, das wohl nur dem Eigner eigen ist: Das Sich-Kümmern ums Eigene. Jedenfalls in der Außen­welt findet dieses Bedürfnis für ihn Befriedigung und es wird wohl nach und nach seine gesamte Lebensart davon erfasst werden.

Finde ich als „ewiger Wanderer“ – ob mit eigenem oder gechartertem Boot - mich jemals selber, oder bin ich ständig auf der Flucht vor mir, vor dem „Eingemachten“, den Leichen im Keller, den kleinen und mittleren Lebenslügen? Kommt es vor, dass ich bei mir ankomme, in meiner Lieblingsbucht, den Frieden finde mit mir, den nächsten Menschen um mich und der Welt? Dieses Thema finde ich auch am Schiff allgegenwärtig, und zwar sehr verdichtet.

Wenn ich so in mich gehend meine eigenen Motivationen erforsche, warum fahre ich gerne am Schiff?

Ich weiß, das Wasser hat eine besondere Qualität für mich. Ich liebe jegliche Art über, an, in oder unter Wasser zu sein: schwimmend, tauchend und schnorchelnd, am Passagierschiff auf Donau, Rhein oder Bodensee, auf Fährschiffen, als Tellerwäscher und E-Assi am Bananendampfer, auf der Plätte am Traunsee, im Paddelboot auf Alm, Drau, Traun, Moldau, Steyr, Donau und Adria und am Surfbrett am Neusiedlersee. Ich genieße die Therme, das Dampfbad, die Sauna und die Badewanne, wie den Strand am Meer und den Tau auf der Wiese bei der Schottergrube.

Und das Segeln? Mag sein, weil mir die Nähe anderer Menschen gut tut. Und das freiwillige Aufeinander-angewiesen-sein. Am Boot ist alles noch dichter als im Land­leben. Ich spiele gerne mit Nähe. Experimentieren und üben in der Gemeinschaft mit anderen (dem Anderen?), sie schließlich zu genießen, nicht bloß (notgedrungen) sie zu ertragen. Das Unerträgliche in der Gruppe und die Not der Einsamkeit habe ich als junger Mensch durchgelitten. Nach und nach erst ist es mir geglückt, im Team mich wohl zu fühlen, ja es zu suchen. Freilich versuche ich, mir die Menschen, in deren Nähe ich mich begebe, einerseits auszusuchen, andererseits mich mit ihnen einzu­stimmen. Daher meine Gepflogenheit der Vorbesprechungen und Kennenlern-Wanderungen, ehe ich mit einer neu zusammengefundene Gruppe aussegle.

Ich wähne, es ist ein guter Wege, zum einen die Geselligkeit und Gemeinschaft zu genießen (und hierin genießbar zu sein), zum anderen, sich des Alleinseins zu erfreuen und es zu suchen, so einen danach hungert. Wem das schmeckt – willkommen an Bord!

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