Segeln in den Kornaten

mit acht Männern an Bord

August 2005

Es war eine Zeit des Ausatmens und des Einatmens, des Schauens und Staunens, des Redens miteinander und des Schweigens, eine Zeit des Nichtstuns, der spontanen Entscheidungen, des plötzlichen Handlungsbedarfes, des Scherzens, des fröhlichen Miteinanders und zugleich der Freiheit, bei sich zu bleiben, eigenen Wegen nachgehend, den Abendhimmel betrachtend, der Nacht lauschend oder in der Hingabe an Sonne, Erde, Wellen und Wind.

Die Idee war spontan geboren worden beim Männertreffen 2004. Georg hat gleich alles Organisatorische in die Hand genommen. Ich habe mich ums Boot gekümmert.

Am letzten Samstag im August ist es dann so weit gewesen: Acht Männer stehen erwartungsvoll an der Pier in Sukosan. Vor uns die „Sailing Sun“, 14 Meter von Bug bis Heck, vier Kabinen mit je zwei Schlafkojen, Salon, Kühlschrank, Gasherd, zwei Pumpklo’s kom­biniert mit Dusche.

Sepp – er qualifiziert sich dabei zum 1. Ingenieur – und ich machen die technische Über­nahme. Während dessen schaffen die anderen Essen und Trinken herbei. Mit Martin gemeinsam – er graduiert dabei zum 1. Offizier – überprüfe ich Segel und Tauwerk. Martin erhält damit Doppelfunk­tion. Hatte ihn doch schon bei der Vorbesprechung das Los des Kassiers getroffen.

Mit Peter, so werden die nächsten Tage zeigen, haben wir unseren Bootsmann an Bord, während Willi sich als der Mann fürs GPS entpuppen wird. Georg und Hermann sind „Mann für alles“. So richtig Passagier ist nur der Gerhard. Ihm geht es um das Ankommen am unbekannten Boden, dessen Erspüren mit den Füßen, um das Alleinsein, das Schauen . .

Das Los-Lassen, ein stets aktuelles Thema in allen Selbsthilfegruppen sollte auch uns 8 Männer an Bord in vielen Spielarten einholen und widerfahren.

In Sukosan ausgelaufen mit Mittagspause in Pasman steuern wir das Südostende der Insel Kornat an. Am Abend suchen wir die Insel Smokvica auf. Am nächsten Morgen zieht Kornat in karger Einsamkeit steuerbords an uns vorbei, backbord eine fröhliche kleine Insel nach der anderen. Schließlich stechen wir hinaus in die offene Adria und spüren erstmals die weiten, sanften Wellenberge und –täler, die es aus West zu uns her weht. Die Männer, alle erstmals auf See, sind begeistert.

Eine etwas unruhige Nacht wird es in der nach nordwest offenen Bucht auf Mana. Eine Landfeste wirkt schließlich Wunder. Hier kann Gerhard erstmals seinem Bedürfnis nachgehen, festen fremden Boden unter den Füßen zu spüren. Er nächtigt auf der Insel im Biwaksack. Es ist sternenklare Nacht. Irgend jemand muss eine Katze auf der sonst unbewohnten Insel vergessen haben. So war Gerhard nicht ganz allein. In dieser Nacht war auch das mit den verlorenen Zähnen (siehe Kasten).

In einer kleinen Bucht innerhalb der großen Bucht Telascica hält es uns zwei stille Tage lang. Um hinüber nach Sali zu kommen, nehmen die Vela Proversa. Das ist die Durchfahrt mit den vier Steinkegeln, die in Deckung sein müssen, soll es nicht in die Steine gehen. Das ist immer wieder spannend.

In einer Bucht im Südwesten der Insel Ugljan, wollen die Anker nicht und nicht halten. Es wird die Nacht mit Ankerwachen. Dann mit gutem Wind hinauf bis Sestrunj und schließlich ums Nordwestkap von Ugljan, um nach fünf Tagen den Bug wieder nach Sukosan zu drehen.

Bucht von Sutamistica auf der Insel Ugljan. Die letzte Nacht an Bord kommt auf uns zu. Da entfaltet Gerhard zu guter Letzt doch noch seine seemännischen Veranlagungen: Zufällig bekleidet, gerufen vom über Bord gegangenen Bootshaken hechtet er nach diesem und besorgt dann das, was jener hätte ermöglichen sollen: Boje an jene Leine nehmen, an deren anderem Ende das Schiff hängt.

Sutamistica ist ein schönes Dorf. Am Weg von der Bucht ins Dorf ergötze ich mich der reifen Feigen, die nur darauf gewartet haben, von mir gepflückt zu werden. Der Hafengebührkassier ist ein lieber freundlicher Junge, die Weintrauben neben der Straße sind köstlich, das Restaurant ist sauber, lie­bevolles Ambiente, beseligend sanfte Klaviermusik, ein vollendeter Gastwirt, das Essen und Trinken – eine Feier. Die Männer strahlen. Ich glaub, ich bin sehr glücklich. Eine gute Woche am Segelboot mit den Männern geht zu Ende.


Ja, und dann gibt es noch ein paar Highlights

 

Vom Loslassen der Zähne 

Gegen den Wind kreuzend, zuweilen weit hinaus in die Adria, erreichen wir schließlich Mana, die Insel mit der aus Stein errichteten Filmkulisse am Gipfel. Wir ankern in der Bucht nördlich davor. Im Schlauchboot paddeln wir an Land, erkunden Mana, genießen den weiten Blick auf die Inselwelt und aufs offene Meer hinaus, erschaudern angesichts des senkrecht ins Meer stürzenden Felsens, erbauen uns an den merkwürdigen roten Steineinschlüssen.
Wir feiern Abschied von der Sonne, wie sie glutrot ins Meer taucht. Der Wind nimmt zu, mit ihm das Schaukeln des Bootes. Die Spaghetti wollen nicht so recht bekommen. Bald lässt einer von uns die soeben verspeisten Nudeln wieder los, großteils über die Reling, denn das gehört sich so. Nach Abschluss dieser Transaktion vermisst jener seine Oberkiefer-Prothese. Das Loslassen der Zähne war zwar nicht gewollt, aber es hat sich so ergeben. Am nächsten Morgen, nach zwei Stunden vergeblichen Schnorchelns lassen wir alle Hoffnung los, die Beißhilfe je wieder zu sehen. Im Reisegepäck des zahnlos gewordenen Mannes gibt es gottlob Reservezähne. Der ästhetisch makellose Anblick unserer Gruppe ist gesichert, schwierig hingegen bleibt für den einen von uns das zielführende Zerkleinern von Nahrung im Mund. Zur Stunde spielt das keine Rolle, denn er hat e noch keinen Appetit.

Nach weiteren zwei Stunden gemeinsamer Trauerarbeit - die Bucht liegt schon sechs Seemeilen hinter uns - veröffentlicht Peter die Frage, die ihn schon seit einer Stunde beschäftigt: „Was sind denn das für Zähne, da in der hinteren Ecke in den Sandalen nahe der Reling?“ Der Jubel ist groß. Bloß Sepp jubelt nicht unbeschwert. Er hat die Zähne nämlich schon immer gesehen, in der festen Annahme, es handle sich um die von unserem Zahnlosen, wegen Such-Tauchganges vorübergehend abge­legte Reserve-Prothese. Und ausgerechnet schon wieder der Peter . . . .

Atmen 

In der Bucht Cuska Duboka, auf Dugi Otok, hält es uns zwei Nächte. Wir sind so wie wir sind: ohne Hülle, ohne Maske, so wie Gott uns gewollt und geschaffen hat. Wir fühlen uns eingeladen von der Bucht. Einige paddeln an deren hin­terstes Ende. Einer erklimmt den nahen Felsvorsprung. Einer erforscht die Ufer, baren Fußes, sich stets gut erdend. Einer wandert dem Berggipfel zu, schreibt dort sein Tagebuch. Einige plantschen im Wasser, ein anderer liegt einfach an Deck, und döst.
Hier werden wir am nächsten Morgen gemeinsam atmen, meditieren und unser Herz weiten.

Ankerwache in der Bucht Prtjug
An der Südwest-Küste von Ugljan weiß ich eine schöne flache Bucht. Hier werden wir die Nacht verbringen. Hält der Anker? Nein, hält nicht! Und noch einmal und wieder –  hält wieder nicht. Nach dem fünften Versuch sehe ich 7 Augenpaare auf mich gerichtet – fragend, zweifelnd, besorgt... Diese Greenhorns meinen wohl alle, ich könne das Ankern nicht! Das Vertrauen der Crew in den Skipper ist gefährdet. Was machen denn die anderen Boote mit ihren Ankern? Die halten auch nicht, durchschaut Martin, mein 1. Offizier. Aber sie lassen sich nichts anmerken, merkt er an. Ja, das können wir auch! Der Skipper zeigt Entscheidungskraft: „Ankerwache!“ verkünde ich. Der Skipper gewinnt Terrain zurück.

Schön war diese laue Nacht. Die Lichter eines Schiffes ziehen draußen vorbei. Noch ein paar leise Laute vom Nachbarschiff: Lachen. Kichern. Seufzen. Dann Stille. Der Sternenhimmel: Bootes im Westen, hoch über uns der Schwan und Altair im Adler. Dankbarkeit ergreift mich, dass ich mir das leisten kann, dass es das gibt. Und Liebe zu meinen Männern spüre ich, was mir Heterosexuellem etwas ungewohnt ist. Wasser plätschert unterm Heck. Der eigene Atem. Der Pulsschlag. Von unten ein Räuspern. Eine Tür fällt sacht ins Schloss. Die Ablöse kommt herauf.

 

Befindlichkeitsrunde

Der geht zu Ende. Wir sitzen alle in der Plicht. Rückschau auf die ersten vergange­nen, versegelten Tage. Jeder ist eingeladen von sich zu sprechen. Die anderen schenken dem Berichtenden ihre ungeteilte Aufmerksamkeit und schweigen. Kein Bewerten, kein Schuldzuweisen, kein Rechtfertigen. Jeder darf los werden, was ihn bewegt, bedrückt, erhebt. Er teilt mit uns, wir teilen es mit ihm. Wir kommen einander sehr nahe, ohne uns weh zu tun. Missverständnisse werden ausgesprochen. Wunden können heilen. Das macht frei, wieder offenen Herzens aufeinander zuzugehen.

 

Unser Sicherheits-Ingenieur an Bord...
Oder wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen

An Land prüft er Tore, Kräne und Aufzüge. Gefahren lauern überall! Er weiß, welches Schuhwerk es da braucht: hochgeschnürt, rutschfeste Sohle und über den Bug eine kräftige Eisenkappe.

Sollten die Gefahren an Bord etwa geringer sein als die an Land? Mitnichten! Sepp tanzt mit seinen Sicherheitsschuhen an. Großes Hallo. Bald merkt Sepp, dass das Ge­fahrpotential bei glatter See, Windstille, in der Abendkühle gering ist. Und er wagt sich baren Fußes an Deck.

Wir erreichen eine Bucht. „Klar machen zum Ankern!“ Selbstverständlich ist vorne an der Ankerwinsch der Platz für den 1. Ingenieur. Deckel auf. Anker langsam zum Bug bringen. „Anker klar!“ Dann ein Schmerzens-Schrei: Der Sicherheitsingenieur hätte jetzt gerne seine Sicherheits-Schuhe angehabt, als in diesem Augenblick der Ankerkisten-Deckel, zuklappt.

Wer den Schaden hat ... Die Zehen sind längst verheilt. Die Geschichte wird immer wieder gerne erzählt.

Das Loslassen hat so seine Tücken.

Manch denkwürdige Fährnisse sind über uns gekommen. Kein Wunder, dass das Loslassen nicht selten angstbesetzt ist. Zum Beispiel auf Dugi Otok in Sali. Da legt bei einem harmlosen Verholen sich doch die Muringleine still und heimlich um die Welle der Schiffsschraube. Wir tanken Wasser nach und ergänzen Proviant. Nach zwei Stunden wollen wir ablegen. Die Festmacher-Leinen sind schon alle los. Schraube einkuppeln, Schiff gleitet weg vom Ufer. Dann kurzer Ruck. Motor abgewürgt, festgehal­ten von der um Schraube und Welle gezurrten Muringleine. Schiff treibt manöverierunfähig im Hafenbecken. Das ist die Zeit des plötzlichen Handlungsbedarfes: Losmachen der um die Welle ganz fest geklemmten Muringleine, zwischendurch erfolgreicher Versuch, das Boot notdürftig irgendwo festzumachen, Muring vollständig losschneiden. Loslassen eines Hundert-Euro-Scheines in die Hand des Marineros,. Hilfsleine lösen und einholen. Und das war’s.

Männerängste

 Selbstverständlich haben wir stehend vom Schiff gepinkelt. Unter Aufsicht, denn Mann weiß, die meisten die über Bord gehen, tun das bei diesem Vorhaben bzw. anstelle dessen. Daher kommt wohl auch das „Mann über Bord“

Kennst du das – du stehst an der Pisswand. Gerade als du anhebst los-zu-lassen, steht jemand neben dir – und nichts geht mehr! Nur spontane Impotenz ist unangenehmer. Ein gar nicht wenig verbreitetes Phänomen übrigens, das mit dem Pinkeln bzw. Nicht­pinkeln. Am Schiff kannst du das therapieren! Therapie des Los-lassens vom Nichtloslassen gewissermaßen.
„Wie pinkle ich in ungewöhnlichen Situationen?“. Sprich mit unserem Hermann, dem Mann für alles, wie das geht!

Also: Hermann steht fünf Minuten am Heck. Nichts geht. Er wechselt von backbord nach steuerbord, von steuerbord nach backbord und zurück. Schließlich gibt Hermann sich geschlagen. Neuer Anlauf am nächsten Tag. Hermann hat ein Bier im Bauch und die Vereinbarung mit sich selbst im Kopf, er bleibt jetzt so lange stehen, bis ... Zwanzig Minuten wartet er erwartungsvoll und ergebnislos. Dann hat er nichts mehr erwartet und da haben sich mit einem mal alle Schleusen aufgetan.

Prost Hermann!

Was lernen wir Männer daraus?

 Letzte Stunde an Bord.

Sepp (Sicherheitsingenieur) stürzt den Salon herab. Er ist verzweifelt und rauft sich die Haare „Helfts mir, helfts mir, ich bin verloren, helfts mir, es ist fürchterlich: Ich habe mir den Autoschlüssel eingesperrt. Ich komme unmöglich hinein. Was soll ich tun. Helfts mir!“ Die anwesenden drei Männer sind berührt von Seppens offensichtlichem Ausnahmezustand. Noch ehe ein einziger von uns, alle versunken in tiefster Anteilnahme, fähig ist, einen klaren Gedanken zu fassen, hat Sepp ihn schon: „Das Schiebedach ist offen! Ich bin gerettet!“ Ganz aus ist die Geschichte zwar noch nicht, denn der Schlüssel lag nicht im Fahrraum der Limousine, sondern im Kofferraum. Und Mercedes-Konstrukteure hatten sich einiges einfallen lassen, dass ohne Schlüssel vom Wageninneren aus nicht so ohneweiters in den Kofferraum zu kommen ist.

 

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